WUNDERHEILER

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Heidelberg!

Sabrina haut das Wort mit Wumms raus. Sie reihert es in den Raum. Sie blafft, bellt, belfert das Wort.

Heidelberg!

Noch ein Schlag ins Holz, der nächste Splitter spritzt auf den Boden.

Die Künstlerin legt das Werkzeug auf den Tisch, greift zum Glas, trinkt es leer, sie ist echt in Fahrt.

Nun stampft sie in die Küche.

„Warte, ich les‘ Dir was vor.“

„Hat das mit Heidelberg zu tun?“, ruft Krohn hinterher.

„Nein. Lass‘ mich! Heidelberg kommt später. Hör zu!“

Sie hat einen Brief geholt. Baut sich vor Hans Krohn auf, hält das Papier am ausgestreckten Arm vor die Augen (entweder bräuchte sie jetzt eine Brille, oder sie hält die Pose für großes Theater).

Hab‘ ich heute bekommen. Wieder eine Rechnung aus dem Krankenhaus. Sie berechnen mir:

„Nachsorgeplan oder Therapieplan / Konsil-Beratung von mindestens zwei Ärzten. Erhöhter Zeitaufwand bei sehr aufwendiger Tumorkonferenz mit mehreren Fachabteilungen sowie Durchsicht (Fremdbefunde)   –    48, 61 €.

Beratung mindestens zehn Minuten. Sehr zeitaufwändige individuelle Anamnese-Erhebung, Besprechung der Diagnose und Therapie. Erörterung des Procedere und Verhaltensmaßnahmen und/oder Ähnliches   –   16,32 €.

Syptombezogene Untersuchung. Zeitaufwändige Auswertung bei kompliziertem Krankheitsbild bei vermehrt diagnostischen Erwägungen   –   16,32 €.“

Wieder 80 Euro. Weil ich zeitaufwändig bin, weil ich kompliziert bin. Weil ich ihnen den Tag schwer mache. Weil ich da bin.

Frau Pedrotti, Sie mit Ihrem geschissenen Krebs sollten zumindest ein schlechtes Gewissen haben, heißt das im Klartext.

Und weißt Du, was mich dann auch noch beleidigt (so dünnhäutig bin ich geworden): Sie können nicht mal meinen Namen.

Sabine Pedrotti schreiben sie. Sabine!

Ich bin immer noch Sabrina. Und immer noch lebe ich und rege mich auf.

Hans Krohn weiß nichts drauf zu sagen. Er fragt, was sie mit „Heidelberg“ gemeint habe.

Sabrina hat sich Tisch gesetzt – sie wird heute nicht mehr arbeiten – und stützt die Arme auf die Tischplatte. Sie klingt müde, ihre Stimme ist leise und wehrlos.

Ja. Heidelberg. Da kommt es mal an die Oberfläche, wie verbrecherisch das System sein kann.

Chefarzt betrügt seine Spezialisten-Doktoren um ein Patent. Mobbt alle weg, die gegen ihn sein könnten. Erzählt einem Medien-Fuzzi (früher mal ein Großer bei der „Bild“), er hat das Wundermittel zur Früherkennung von Brustkrebs gefunden.

Nie mehr Brustkrebs! Da springt auch ein geldgeiler Kumpel vom Doc auf den Zug und beteiligt sich mit seinen Millionen an der Vermarktung des Wundermittels.

Der Jesus für die Frauen praktiziert in Heidelberg, verbreiten sie. Studien? Scheiß drauf! Dritte Meinungen? Wer will denn sowas? Veröffentlichungen in wichtigen Fachblättern? Warum das denn? Man hat ja die „Bild“.

Weißt Du, was die geschrieben haben?

MEDIZINSENSATION!

Und was war es?

Nichts war es.

Man hat es halt mal versucht. Schließlich geht es um die große, die ganz große Kohle.

Jetzt redet schon wieder kein Schwein mehr von der Sache.

War ein zeitaufwändiger Beschiss, hat nicht viel gebracht.

Na, dann werden sie es eben auf ein Neues probieren.

Und auf Station verrecken die, die auf Medizinsensationen hoffen.