WÖRTER HABEN

TANZ DER VIREN II, Folge 95

Sie übertreibt es nicht mit dem Makeup. Jeans zieht Hatice an, T-Shirt, blauen Pullover, eine lässige Jacke, Laufschuhe. Kleiner Rucksack.

Hatice, eine sportliche junge Frau, verlässt mit einem Lächeln die Wohnung. Den Weg zum Hofgarten geht sie zu Fuß. Sie mag jetzt keine Maske aufziehen, wegen der zwei Stationen mit der U-Bahn.

Es ist immer noch kein rechter Frühling. Das Tief heißt „Marco“ und schiebt Regen und Sturm aus Westen heran. Aber die Menschen auf der Ludwigsstraße stören sich nicht am Wetter. Es scheint, als ob es ihnen gut ginge.

Torsten steht schon am Treffpunkt, bei den Boule-Spielern. Hatice freut sich, er gefällt ihr.

Groß ist er, breite Schultern hat er. Viele helle Haare, schulterlang. Jeans, Sportjacke, Laufschuhe.

Frohes Gesicht, gute Zähne, volle Lippen.

Keine Maske.

Kein Zögern. Er umarmt sie und sagt: „Schön!“

Sie haken sich unter und marschieren ohne Absprache los. Hatice und Torsten durchqueren den kleinen Park ohne ein Wort. Erst nachdem sie durch den Tunnel in den Englischen Garten einbiegen, beginnt das Reden.

Zügig schreiten sie aus – sie sind gut in Form, das Marschieren bringt sie nicht außer Atem. Sie registrieren die Jogger und die Spaziergänger nicht, sie interessieren sich nicht für die berittenen Polizisten und die aggressiven Jugendlichen, die sich auf der großen Wiese in einen gefährlichen Zorn trinken. Den Chinesischen Turm passieren sie, den Mittleren Ring überqueren sie. Mal regnet es zehn Minuten, sie werden ein bissl nass, aber es macht nichts. Sie sind ja nicht aus Zucker. Beim Aumeister kehren sie um.

Und noch immer haben sie sich soviel zu sagen. Sie könnten glatt weiter marschieren bis Freising oder Landshut oder durch die Nacht.

Endlich reden.

© BILDKUNST JOHANNES TAUBERT