WOHL BEKOMM’S!

berlin, 19. januar 2015

Ja, wo schieben sie denn? Das wissen sie oft selbst nicht, die Besucher der 80.en “Grünen Woche” in Berlin. Sie reihen sich in den Mahlstrom der Fress-Freunde ein und sind nicht mehr die Meister ihres Tuns. “Nimm Dir Zeit” heißt es am Eingang. Zeit braucht einer in der Tat auf der “Grünen Woche”. Zeit. Ausdauer. Belastbarkeit.

Die letzte freie Entscheidung trifft der Wöchner vor dem Betreten der ersten Halle. Nehmen wir mal an, er entscheidet sich für den Gang von Süd nach Nord. Dann fängt alles mit den wichtigen, grenzübergreifenden Themen an (Bio-Bewusstsein, Freundlichkeit zu Tieren, der Schutz von Wald, Wiesen und Wellen), der Gast müht sich anschließend im gebremsten Schritttempo einmal um den Globus (wie isst und trinkt es sich in Asien, Afrika oder auch Aserbaidschan?).

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Oans, zwoa – machma Brotzeit. FOTOS: DETLEF VETTEN

 

Das allein ist ein langer harter Gang. Aber ein “Grüne-Woche”-Teilnehmer) gibt nicht auf. Der Weg nach Norden führt zwangsläufig nach Hause. Irgendwann, nach Stunden – die Kinder haben nicht mal mehr Kraft zum Quengeln, die Alten rasten immer öfter auf Fenstersimsen, die Durstigen lassen sich jetzt schon Biere der seltsamsten Art andrehen -, wird der Durchgang zu Halle 22 gequert…

…Großes Aufatmen: Heimgefunden!

Es grüßt ein selbstbewusster bayerischer Landwirtschaftsminister vom übermannshohen Plakat, davor rastet eine Trachtenkapelle aus dem Berchtesgadener Land. Die Mannsbilder haben die Instrumente in die Ecke gestellt und widmen sich dem Weizen. Es ist zwar nicht Bayerns Bestes, doch was soll’s? Bier bleibt Bier.

Auf der Bühne plärrt eine hochgeschnürte Dame begeistert ins Mikro, dass die Glasbläser des Bayerischen Waldes ihr Handwerk trefflich verstehen, am Grainauer Stand erklärt ein Dirndl die schönsten Mountain-Bike-Routen rund ums Zugspitzmassiv, und der Ort Pottenstein wirbt mit einer potthässlichen Sommer-Rodelbahn.

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Alles wurscht – Hauptsache, das Land verkauft sich gut.

 

Was das mit Essen und Trinken zu tun hat? Wurscht, auf der Nahrungs-Messe geben gern die Touristik-Menschen den Senf dazu. Die Besucher stört es augenscheinlich nicht. Im Schatten des Zugspitzmassivs entern sie im Biergarten Plätze und spielen das „Oktoberfest“-Spiel.

Es summt und brummt, die Musik ist sehr laut, Tuben scheppern, Trommeln dröhnen. Schwül ist es, der Nachbar schwitzt, und das Austreten gerät zu einem kleinen Abenteuer.

Eine Halle weiter präsentiert sich Berlin grausig grell und modern, bei den Brandenburgern riecht es nach heißem Fett, in Sachsen kämpft sich der Mensch durch Dünste von Sauerkraut und Wurst. Irgendwo will einem eine schwarzhaarige Schönheit einen Fingerhut, gefüllt mit Sahnelikör, aufnötigen. Das mutet an wie eine Prüfung aus dem “Dschungelcamp” – und es gibt immer wieder Mutige, die den Test bestehen wollen.

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Habe die Ehre – und täglich grüßt das “Oktoberfest”.

 

Mal ehrlich: Dieser “Grüne-Woche”-Gewaltmarsch ist schon ein Event für die ganz Harten! Fast eine halbe Million Menschen nehmen für 14 Euro Startgeld die Strapazen unterm Funkturm auf sich.

Und sie lieben es.

Silvia Hartmann aus Neukölln ist eine. Am Sonntag wurde sie als Besucherin Nummer 100000 registriert, wurde abgefangen und bekam vom Partnerland Lettland Blumen und einen Präsentkorb mit Quittenbonbons, Apfelchips, Käse, Honig und dem berüchtigten Schnaps “Riga Black Balsam”. Lächelnd überstand sie die allfällige lettische Volksmusik.

Silvia Hartmann ist eine ganz normale Berlinerin. Will Richterin werden, hat gerade ihr Jurastudium beendet. “Ich gebe einen Großteil meines Gehalts für gutes Essen aus”, sagt sie, “und da lasse ich mich auf der Messe inspirieren.”

Da scheut sie dann eben auch keine Mühen und ist ebenso zäh wie der neue Regierende Bürgermeister der Hauptstadt. Michael Müller tankt sich durch 27 Stationen. Der asketische Politiker mutet seinem Morgen-Magen ungarische Salami und holländischen Käse, Nordseefisch und Bio-Fleisch, Schnaps, Bier und süßen Wein zu. Alles bunt durcheinander und in rasanter Abfolge. Zu Guter Letzt hält er gar noch eine Rede in fast einwandfreiem Deutsch. Dass er aus Lettland “Lettauen” macht, goutieren die Umstehenden mit hämischem Rülpsen.

Uups, Herr Müller, so ‘ne Grüne Woche geht an die Substanz, nicht wahr?

In der Tat. Jetzt erstmal ein Bäuerchen.

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Rauschendes Fest, friedvoller Plausch. “Grüne” Impression.