STARK? STARK!

münchen, 25. februar 2015, sechs Uhr abends

In Bayern braut sich, vielerorts, was zusammen. Die Eingeborenen gehen in die zweite, in die harte Phase des Osterfastens über. Heute Abend wird in der Hauptstadt angezapft, dann quillt das Starkbier aus den Fässern, die hierzulande “Hirschen” geheißen werden. Dann kasteien sich zwar die frommen Bajuwaren, weil der Kampf wider die Fleischeslust bisweilen schön katholisch ist. Aber dafür, dass die ganze Fasterei dann doch eine rechte Gaudi sein kann, sorgt schon das Starkbier.

Starkbier (“Flüssiges bricht das Fasten nicht”) ist ein besond’rer Saft. Eine echte Wissenschaft ist denn auch die Beschäftigung mit dem Urstoff der “fünften Jahreszeit”. Selbst Einsteiger müssen die wichtigsten Sorten der Hauptstadt kennen und goutieren können. Die da sind:

Salvator: 18,3% Stammwürze, 7,5% Alkohol. Kräftiger, typisch malziger Geschmack. Paulaner-Brauerei.

Triumphator: 18,2% Stammwürze, 7,6% Alkohol. Malziger, leicht süßlich-karamellartiger Geschmack. Löwenbräu/Spaten-Brauerei (auch in den Hofbräu-Häusern).

Maximator: 7,5% Alkohol. Süffiger, dunkler Doppelbock klösterlichen Ursprungs. Augustiner-Brauerei.

Gottfried Jakobs Blonder Bock: 19,7% Stammwürze, 8,2% Alkohol: „Das einzige blonde Frühjahrs-Starkbier“. Forschungsbrauerei Jakob, Perlach.

Animator: 19,3% Stammwürze, 8,1% Alkohol. Das Stärkste in München  von Hacker-Pschorr.

Giesinger Sternhagel: Stammwürze unbekannt, 9,5% Alkohol. Giesinger Bräu.

Alles klar? Noch aufnahmebereit?

Gut so.

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Renitent sind sie landesweit, die Bayern. Auch in Unterföhring, vor den Toren Münchens.

 

Starkbier darf nicht warm werden, sollte also zügig konsumiert werden. Folge ist ein sich rasch einstellendes Gefühl von Kraft und intellektueller Überlegenheit. Auch eine gewisse Bereitschaft zu maskuliner Courage stellt sich ein. Starkbiertrinker lassen sich so leicht nichts gefallen. Ihre augenscheinliche Gemütlichkeit kann leicht umkippen – dann sind sie konfliktfreudig und, je nach Typ, auch einer zünftigen Rauferei nicht abgeneigt.

Auf jeden Fall befördert das Starkbier einen nicht ganz angenehmen Charakterzug vieler Bayern (und da vor allem der Mannsbilder). Sie lassen ihrer Hinterfotzigkeit, ihrem Plaisir am Gescherten, ihrem Hang zum Heimtückischen freien Lauf.

Gerd Holzheimer ist Schriftsteller und Lehrbeauftragter für bayerische Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilian-Universität und hat am heutigen Mittwoch um 13.39 Uhr bei SZ-Online unter dem Titel “Im Wurstkessel der Bavaria” über die Heimtücke der Einheimischen räsonniert. Vor allem geht es um die zur Kunstform erhöhte Rufschädigung in der Öffentlichkeit, das ausgesprochen beliebte “Derblecken”. Holzheimer schreibt:

Auch wer des Bairischen nicht mächtig ist, mag erkennen, dass aus dem Wort “derblecken” hervorgeht, dass hier Zähne im Spiel sind, wenn es um das Lachen geht: “blecken” meint Zähne blecken, also Zähne zeigen. Auf jeden Fall ist das Präfix “der-” “an intensifying prefix” und “blecken” “the causative of blicken”, (Otto Hietsch: Bavarian into English – Lexical and Cultural Guide). Außerdem vergisst Hietsch nicht, darauf hinzuweisen, dass Derblecken immer “with strong beer” einhergeht: “A form of cabaret that bluntly takes a shot at Bavarian politicians”. Der sogenannte “Dialektprofessor” Ludwig Zehetner (Bairisches Deutsch – Lexikon der bairischen Sprache in Altbayern) gibt als Beispiele für Verben mit der Vorsilbe “der” unter anderem an: “derbatzen, derbröseln, derhutzen, dersaufen, derscheißen, derwutzeln”.

Der Dozent und Poet führt weiter aus:

Erfunden haben wir Bairische das Derblecken nicht, so gern wir es hätten. Auch darin sind uns die Griechen Vorbild. Aristophanes zum Beispiel, Komödienschreiber von Beruf, war ein Großmeister des “Derbleckens”. In seinen Stücken marschieren Küchengeräte als Zeugen bei einem Prozess auf, Wespen, Frösche und Vögel stürmen die Bühne, die Frösche quaken “brekekekex, koax, koax” und die Nachtigall singt: “tiotiotiotiotinx”. Auf Altgriechisch heißt “derblecken” “diakomodeîn tina”, jemand verspotten oder auch “sauber durchlassen”, zweimal mit Omega bitteschön, das zweite Omega mit Jota subscriptum (aber so geht’s ja schon mal los: Des kenna mir, oh ihr Götter, überhaupt nimma drucka, im griechischen Original!).

Soweit also der Denker aus der Hauptstadt. Er nimmt die menschlichen Schwächen der Bayern locker, so macht man es wohl am besten. Und während er sich ob des Gelingens seines Traktas übers “Derblecken” mit gutem Gewissen eine schöne Maß des 2015-er Starkbiers (angeblich besonders kräftig und malzig) gönnen darf, geht einer reschen 46-Jährigen in der “Maske” hinter der Bühne am Nockherberg mächtig die Düse. Die Kabarettistin Luise Kinseher gibt beim Starkbieranstich die “Mama Bavaria”, die Queen des Derbleckens. Die letzten Tage, so erzählt sie, seien grauslig gewesen:

“Rund um die Uhr erhöhter Adrenalinspiegel. Man blättert ja jeden Morgen hektisch durch die Zeitung und schaut, dass man nichts vergisst. Als Ausgleich mache ich Yoga – aber daheim, weil ich nicht will, dass jemand sagt: Schau, die Kinseher, die macht den toten Hund.”

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Die Bavaria ist angeblich eine Art fürsorgliche Landesmutter. Beim Starkbieranstich mutiert sie zur Mama Bavaria, einer Gift spritzenden Natter.

 

Von der “Abendzeitung” wird sie gefragt, ob die Rede hinterfotzig genug sei. Sie denkt kurz nach, dann sagt sie (und man hört schon heraus, dass sie aus Niederbayern kommt, wo die Leut’ als ganz besonders g’schert gelten):

Zu scharf, zu wenig scharf – ich stehe in jedem Fall dahinter. Ich tue mir mit dem Begriff ,Schärfe’ ohnehin schwer. Mir ist wichtig, dass eine Pointe auf dem Punkt ist, nicht, dass ich da brachial unter die Gürtellinie haue, haarscharf an der Beleidigung vorbei. Das ist nur billig. Ich habe gerade noch eine Pointe entschärft. Mal schauen, wie ich am Mittwochabend drauf bin – vielleicht kommt sie auch wieder rein.”

Jetzt ist gleich Showdown.

Hat die Luise die Pointe drin gelassen?

Schaun mer mal.

Morgen: Ozapft is. Klartext auf Bairisch.