SONDERANGEBOTE

sommer zwanzichfuffzehn XXIX

Deutsche Banken, Geschichte Nummer 2

Dragan nahm den Frühling nicht wahr. Er saß auf seiner Stammbank und studierte den Saturn-Prospekt.

Waschmaschine, 1400 Umdrehungen pro Minute: 444.-. Digitale Kamera mit Wechseloptik, 10,1 Millionen Pixel: 299.-. Heimkinosystem mit Full HD 3D-Blue-ray Disc Player: 349.-. Bluetooth Touch Mouse, schnelles und flüssiges horizontales Scrollen: 49.-. Soo muss Technik.

Seine Stirn warf Furchen. Zu seinen Füßen hüpften Spatzen, in der Hoffnung, der Mensch würde wie üblich aus seiner Tüte Brot kramen und zerkrümeln. Er saß jeden Tag hier, er brachte immer was für die Vögel mit.

Dragan hatte sich an den Stereoanlagen festgeguckt. Die erinnerten ihn daran, dass er auch mal eine gehabt hatte. Noch im letzten Frühjahr hatte er sich ein Zimmer in Neukölln leisten können.

Küche mit Kühlschrank und Herd.

Weg!

Bett und Schrank und Bücherbord. Fernseher. Stereoanlage. Fünf Blumen im Topf.

Weg!

Ein Haus- und ein Zimmerschlüssel.

Weg!

Mit den Schlüsseln hatte er nach seinen Kneipengängen die Türen geöffnet. Er hatte die Jacke an den Haken gehängt, sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt. Er hatte die lästige Post vom Arbeitsamt zur Seite geräumt. Gecheckt, was in der Glotze lief. Meist hatte er wieder ausgeschaltet, er sah nicht besonders gern fern.

Dragan hatte eine CD eingeschoben und Musik gehört. Mit geschlossenen Augen hatte er sich vorstellen können, wie es wohl zuhause wäre. Mit den weiten Feldern und den verschwommenen Bergen weit im Norden. Mit der sonnenflirrenden Landstraße und dem Café am Dorfplatz, wo die alten, frohen Männer ihre Jahre Revue passieren ließen.

Später hatte Dragan Anisschnaps zum Bier getrunken und geweint.

Noch später hatte er sich die Post vom Arbeitsamt gegriffen, die Brille aufgesetzt und die Papiere zu lesen versucht. Er verstand das alles nicht, was sie da von ihm wollten.

War es denn nicht schon schlimm genug, dass sie ihn auf die Straße gesetzt hatten?

Er hatte an die Heimat gedacht, die keine Heimat mehr für ihn war.

Immer war er am Tisch eingeschlafen. War dann hoch geschreckt und hatte sich ins Bett geschleppt. Nachmittags war er mühsam aufgewacht, hatte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank gezittert (hatte festgestellt, dass er bald würde Nachschub holen müssen), war in die selben Klamotten wie am Vorabend geklettert und zur Kneipe getapert.

Dort hatten sie alle schon gesessen: die vielen Männer und die paar Frauen, die stolz darauf waren, ein Obdach zu haben.

Eines Tages war das dann alles vorbei gewesen. Dragans Obdach:

Weg!

Nun saß er auf seiner Stammbank im Tiergarten, las im Saturn-Katalog und trauerte seiner Stereoanlage nach.

Aber er hatte keine mehr.

Die Musik aus der Heimat, auch die:

Weg!