SCHMINKE

sommer zwanzichfuffzehn XXXI

“Das war wirklich eine lange Geschichte, die Du da mit dem jungen Typen erlebt hast.” Sabrina strich Hans Krohn über den Arm. “Wann hast Du das letzte Mal von ihm gehört?”

Krohn wurde nachdenklich. Anfang des Jahres hatte er sich auf einen Kaffee mit der Sozialarbeiterin verabredet, die Maik betreut hatte. Das war so eine gertenschlanke Frau, die aussah wie ein nicht erwachsen werdendes Mädchen, die eine Piepsstimme hatte – und von einer großen Zähigkeit war.

Sie hatte ihm erzählt, dass Maik seit Monaten nicht mehr in der Sozialstation gewesen war. Ein paarmal hatte sie von Kollegen gehört, dass man den Jungen noch in einem erbärmlichen Zustand im Berliner Osten gesichtet hatte. Doch dann war es Winter geworden – und seitdem war Maik weg.

“Schlimm.” Sabrina ließ einen Finger über Hans’ rechte Braue streichen. Ganz sacht. “Hast nur so schlimme Geschichten?”

“Weiß nicht. Auf jeden Fall sind die meisten nicht so lang.”

“Zum Beispiel?”

“Zum Beispiel so:”

 

Christine Gerath genoss die Erleichterung. Endlich waren die Typen mit ihrer Kamera weg. Sie blickte über den Lietzensee, auf dem Haubentaucher dreist die Bahn von zwei Schwänen kreuzten.

Uff! Das hatte Christine prima hin bekommen. Die Frau, die den Film über sie machte, war aber auch zu blöde gewesen. Der konnte man ja die Story vom toten Gaul aufbinden.

Die hatte nicht mal geschnallt, wie sich die Gerath zu kleistern musste, dass sie wenigstens ein bisschen der Christine von früher ähnlich sah, die mal das Bond-Girl gewesen war. Ohne Make Up war die Gerath nur noch eine herunter gekommene versoffene alte Frau.

Aber im Schminken war sie schon immer eine Queen gewesen. Also hatte sie sich für die Filmcrew aufgebrezelt – und die waren zufrieden gewesen.

Und dann hatte sie ihnen Geschichten erzählten. Echt tolle Geschichten:

Von den neuen Rollen, die ihr angeboten wurden. Sie wusste nicht, welche sie zuerst ablehnen sollte. Schließlich würde sie nur wahre Kunst machen wollen.

Dass sie so lange nicht mehr vor der Kamera gestanden hatte, hing nur damit zusammen, dass sie kein Drehbuch für gut genug befunden hatte. „Wissen Sie, Schätzchen“, hatte Christine zur Journalistin gesagt und sie verschwörerisch am Arm gedrückt, „man muss sich rar machen. Sonst wird man in dem Business zur Nutte. Ich habe mich nie verhuren lassen, nie, nie, nie.“

Die Fernseh-Frau hatte gefragt, was denn an den Gerüchten dran sei, dass Christine Gerath ein Alkoholproblem habe.

Hell hat sie gelacht. War sehr heiter und sehr gelassen. „Darling, Neid ist das, der pure Neid. Ich habe seit Jahren keinen Tropfen angerührt. Ich habe so viele Kolleginnen und Kollegen gesehen, die der Alkohol umgebracht hat – da habe ich mir geschworen, so etwas passiert mir nie.“

Die Frau vom Fernsehen hatte nur so gestaunt!

Man hatte über die Männer gesprochen. Über die vielen Enttäuschungen – und wie schrecklich es ist, wenn sie einem das Herz brechen. „Nein, honey, nicht mit mir. Nie mehr. Ich habe genug Männer gehabt. Jetzt lasse ich keinen mehr in mein Leben. Obwohl sie Schlange stehen, das kann ich Ihnen sagen.“

Irgendwie hatte sich Christine all das selbst geglaubt. Sie konnte sogar sich selbst etwas vormachen, sie, die wunderbare Schauspielerin.

Jetzt waren sie weg. Christine Gerath blickte verzweifelt zu den Haubentauchern. Die Schminke spannte. Das einstige Bond-Girl blickte sich um: niemand in der Nähe ihrer Bank.

Sie grabbelte sich durch den Krimskrams in ihrer Handtasche. Da war sie!

Christine Gerath zog die Wodkaflasche (0,2 l, polnisches Erzeugnis) aus der Tasche, drehte den Verschluss auf und leerte den Flachmann.

Aah!

Jetzt konnte sie los ziehen und im Supermarkt Nachschub besorgen. Schluss mit der Vorstellung. Basta, das Schmierentheater. Christine stand auf und kehrte ins wahre Leben zurück.