PRÜGEL-FRAU

berlin, 14. Januar 2017    —-    winter 16/17, Folge IX

Ihre Eltern haben sich gekümmert. Hilde war das einzige Kind. Die Mutter arbeitete in der Kantine bei Siemens, dort hatte sie auch ihren Mann kennen gelernt. Der baute irgendwelche klitzekleinen Teile zusammen und konnte zuhause alles Elektrische reparieren.

Tagsüber waren die Mutter und der Vater auf Arbeit. Zwischen fünf und sechs kamen sie nach Hause, und dann hatten sie Zeit für die Tochter. Der Vater bastelte und spielte mit Hildchen; am Sonntag unternahmen sie lange Spaziergänge in den Tiergarten oder in einen anderen Park, an ganz tollen Tagen besuchten sie den Zoo. Die Mutter brachte ihr das Nähen und Stricken bei; sie sang die ganze Zeit, und wenn sie nicht sang, las sie etwas vor. Mit der Mutter machte Hildchen auch die Hausaufgaben.

Eine unbeschwerte, selbstständige Kindheit, die komplikationsfrei in die fröhliche Pubertät überging. Sie war mit sich im Reinen – zumal sie den schönsten Busen von allen hatte.

Mit 17 durfte sie – die Lehre als Hutmacherin hatte sie mit schönen Noten abgeschlossen – freitags bis elf Uhr nachts weg. Man hatte nicht sehr viel Geld, und Hildchen ließ sich erst einladen, wenn sie den Verehrer schon eine Weile kannte – also musste man beim Bummeln sparen. Kichernd und untergehenkelt zogen Hildchen und ihre Freundinnen von einem Schaufenster zum nächsten und träumten, was sie sich kaufen würden, wenn sie denn einen reichen Mann geangelt hätten.

Ihre erste erwähnenswerte Romanze begann traumhaft und zerschellte albtraumhaft. Der Typ wollte ihre Titten und einen Fick, nicht mehr. Dafür legte er sich ins Zeug. Nachdem er sie entjungfert hatte, ward er nicht mehr gesehen.

Der Sex hatte weh getan. Hildegard legte keinen gesteigerten Wert auf eine Wiederholung. Schwofen in Klärchens Ballhaus, ein Landpartie mit ein bisschen Knutschen, das war okay. Aber Beischlaf? Gott bewahre, musste sie nicht haben.

Sie genoss das Leben auch ohne Gebumse. Sie liebte Filme mit der Knef, Curd Jürgens, Hans Albers. Peter Kraus machte sie ganz wild, die wilden Jungs aus England und den Staaten auch. Hildchen war eine echte Partynudel, die für jeden Jux zu haben war. Sie traute sich, vom Fünf-Meter-Turm zu hüpfen, sie kreischte bei den Wannseer Wasserspielen am lautesten. Die Arbeitskollegen mochten die hilfsbereite, immer fröhliche junge Kollegin. Die Eltern waren stolz, tierisch stolz auf ihr Hildchen.

Manchmal fragte eine Freundin: „Sachma, warum haste keen Freund? Magste nich oda kannste nich?“

Dann lachte Hildegard (es war ein ehrliches unverbogenes Lachen): „Wird schon werden. Ich hab’s nich eilig. Kommt Zeit, kommt Rat.“

 

 

 

Es kam:

Pit.

Pit war der Mann ihres Lebens. Pit Küneke. Groß wie ’ne Telefonzelle. Echt einer zum Anlehnen. Die schwarzen Haare hatte er mit viel Brillantine nach hinten gekämmt. Ohne seine Lederjacke verließ er das Haus nicht, er trug nur Röhrenjeans und spitze Schuhe.

’n Auto hatte er auch. Zu mehr als einem Ford Taunus reichte es nicht, doch immerhin: Er war rot und hatte weiße pfeilförmige Rallyestreifen. Vierzylinder-Viertakt, 1172 Kubik, 38 PS, untenliegende Nockenwelle, Spitze 112 Stundenkilometer, bergab schaffte er an die 120.

Man konnte sich zu sechst rein packen und etwas unternehmen. Nun gut, das alles spielte sich in West-Berlin ab, auf die Transitstrecke trauten sie sich nicht. Aber auch in der Stadt tat Mobilität sehr gut. Die Lieblings-Disco der Clique lag in Steglitz, gebummelt wurde zwischen KadeWe.

Wer behaupten würde, Pit sei ein Kavalier gewesen, der irrt mächtig. Pit hatte es nicht mit Manieren. Der war so selbstbewusst, dass man nur staunen konnte. Er trat auf wie ein bekannter Schauspieler oder Schlagersänger oder so was. Was er sagte, musste stimmen, so war das nun mal.

Eigentlich behandelte er Hildchen von Anfang an wie Dreck. Er forderte sie zum Tanz auf und ließ keinen Zweifel daran, dass sie zu ihm, dem ihr Unbekannten, Ja sagen musste. Er legte sie in seinem Taunus nach dem ersten Abend halbflach und ließ sie danach zwei Wochen zappeln. Dann erbarmte er sich und schlief mit ihr. Es war ein warmer Sommerabend, er hatte in einer Seitenstraße nahe der neuen Mauer geparkt.

Es war schön, sie Hilde mochte Pits Kraft und Bestimmtheit. Es tat nicht weh, und sie genoss seine Aufmerksamkeit.

Er berührte ihren Arm, und die Härchen stellten sich auf. Er küsste sie, und sie musste die Augen schließen. Wenn sie miteinander schliefen, bekam Pit eine tiefe raunende Stimme – das machte ihr einen wohligen Schauder.

Sie verfiel diesem Mann.

Nach einem Jahr fragte er, ob sie heiraten wolle. Welch ein Glück!

Sie waren Mitte zwanzig. Hilde wurde zu Hilde Küneke und arbeitete weiter hart. Pi heiratete und erklärte, die harte körperliche Maloche als Kunstschmied sei nichts mehr für ihn. Er wollte hoch hinaus. Ließ sich als Vertreter für Arzneimittel anheuern. Das war ein Job nach seinem Gusto. Er zog mit seinem Köfferchen los und beschwatzte die Kundschaft. Reden, ja, das konnte der Pit. Er verkaufte gut, anfangs zumindest.

Dann brachen die Umsätze ein. Pit kam nach Hause und klagte, die Ärzte und Apotheker seien bornierte Idioten. Denen konnte man es einfach nicht recht machen.

Hilde fühlte mit ihrem Mann. Sie sah es ihm auch nach, dass er nun immer öfter angeschlagen heim kam. Sie fragte ihn nicht, ob er getrunken hatte – war ja auch nicht nötig, er roch nach Alkohol.

Zuerst war er in diesem Zustand noch kleinmütig und traurig. Er saß am Küchentisch, trank Bier und Korn, blickte uninteressiert auf die Zeitung. Wenn er genug hatte, schlappte er ins Schlafzimmer und ließ sich quer aufs Bett fallen. Sie zog ihm die Hosen und die Hausschuhe aus und schob ihn in die richtige Position. Ihr gefiel gar nicht, was sie sah: diesen großen Mann, der seine Würde versoff und alles Zupackende von früher verloren hatte.

Hilde Küneke gab Pit aber nicht auf. Sie hoffte, dass die Phase der Schwäche ein Ende haben würde, von einem Tag auf den anderen. Manchmal, am Sonntag, kam ja der Pit zum Vorschein, in den sie sich so verknallt hatte. Dann hatte sie wieder die Härchen, die zu Berge standen; ihr wurde es zwischen den Beinen warm, und sie fühlte sich wundersam aufgeregt.

Manchmal schliefen sie dann auch miteinander. Es war ganz schön, wirklich, zumindest unangenehm war es nicht.

Einmal fing er nach der Liebe an zu weinen. Er vergrub seinen Kopf zwischen ihren Brüsten, sein Körper schütterte.

„Was haste denn?“

„Ach, Hildchen. Es geht nich weiter. Und ick weeß nich, was ick machen soll. ’s is, als ob alle gegen mich wären.“

„Sag’ das nicht. Wir haben’s doch schön. Und Deine Geschäfte werden auch wieder besser gehen. Mal ist es besser und mal schlechter, so isses halt.“

„Wennde meinst. Abe ick sach Dir, et is einfach Scheiße.“

 

 

 

Pits Verzweiflung verwandelte sich in Zorn. Er kam immer später nach Hause, immer wütender. Seine schlechten Stimmungen begannen mit kalter Wut, die in heiße Hass-Attacken umkippte. Er zerknüllte die Zeitung, schob den Teller mit dem Abendbrot über den Tisch. Er hämmerte mit der Faust gegen die Wand und brüllte bei Kleinigkeiten los.

Dann kam Hildchen an der Reihe.

Es war im Frühjahr. Den Tag über hatte die Sonne geschienen, die Menschen machten frohe Gesichter, weil der Winter nun endgültig passee war. Großes Sternen-Gefunkel am Nachthimmel, ein eindrucksvoller Vollmond schob sich über die Stadt.

Vollmond, das hieß: Vorsicht! Pit reagierte ausgesprochen gereizt auf Vollmond.

Hilde hatte Buletten und Kartoffelpüree vorbereitet. Die waren kalt geworden, weil Pit sich wieder mal verspätete. Gegen halb zehn kam er, Hilde hörte seine schweren Schritte auf der Holztreppe in den ersten Stock. Der Schlüssel kratzte an der Haustür, drehte sich schließlich im Schloss. Schnaufend ließ Pit sein Köfferchen fallen, hängte den Mantel an den Garderobenhaken und betrat die Wohnküche. Er hatte einen stieren Blick und ungesund gerötete Backen.

„Hallo, Pit“, sagte Hilde, stand vom Küchentisch auf und wollte zum Herd.

„Hallo“, sagte Pit.

Sie machte sich an der Pfanne zu schaffen. „Wie war’s heute?“

Falsche Frage.

„Wie immer. Ja, genau: Wie immer! Was gibt’s ’n zum Essen?“

„Ist gleich fertig. Setz Dich doch schon mal hin und lies ein bisschen Zeitung.“

„Sachma, haste Tomaten uffe Ohrn? Ick hab jefragt, wat et zun Essn jibt. Un nich, wo de Zeitung is.“

„Schon gut, es gibt Buletten und…“

„Viel fällt Dir aber auch nicht ein.“ Pit redete nun sehr leise und zwang sich zum Hochdeutschen. „Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir erst letzte Woche Buletten, in der Woche davor und in der Woche davor auch. Würde es Dir etwas ausmachen, ab und zu das Kochbuch zu konsultieren, vielleicht bringt Dich das auf neue Ideen. Das ist wohl das Mindeste, was ich nach einem langen Arbeitstag erwarten darf. Hat Madame das begriffen, habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Hilde Küneke hob zwei Fleischbälle auf den Teller, wollte Kartoffelbrei dazu tun.

„Entschuldigung, ich habe Dich etwas gefragt.“

Sie klatschte schweigend den Brei neben die Buletten.

„So ist das also: Man redet nicht mehr mit mir. Ist das so?“

Sie trug den Teller zum Tisch. Pit sah, wie seine wortlose Frau auf ihn zu kam. Er stützte sich vom Stuhl hoch, stand nun da, groß und mächtig und voller Zorn.

Sie wollte den Teller abstellen. Da schlug er zu. Das Geschirr fiel zu Boden, das Püree verteilte sich, die Buletten kollerten unter den Tisch. Hildes Wange rötete sich sofort. Erstaunt blickte die Frau ihren Mann an. Erstaunt schaute er zurück. Er überlegte. Wieder flutete die Wut in ihm hoch.

Noch einmal schlug er zu. Diesmal fester.

 

 

Der Bann war gebrochen. Nur zu!

 

 

Hilde Küneke ertrug ihren Mann gegen alle Vernunft. Sie nahm hin, dass er sie vermöbelte, erniedrigte, beschiss. Entweder stank er nach Fusel – oder nach fremder Frau. Er hatte keine Hemmungen mehr. Kam und ging, wann er wollte. Riss die frisch gewaschene Wäsche aus dem Schrank, fraß den Kühlschrank leer und war wieder weg.

Anfangs weinte sie sich die Augen aus dem Kopf. Dann hatte sie keine Tränen mehr, nur noch Angst, wenn der Schlüssel sich im Schloss drehte. Hilde Küneke versuchte, ihr Leben an Pit vorbei zu führen. Er bekam das mit und bestrafte sie für jede Eigenmächtigkeit.

Pit wurde dick, unansehnlich. Ein formenloser Findling von Mann. Seine Gesicht zerrüttete in kurzer Zeit, die Nase verwuchs sich zu einer violett-adrigen Knolle. Die Firma entließ ihn, einen neuen Job bekam er nicht und wollte er auch nicht. Er verließ – wenn er denn zuhause aufwachte – vormittags die Wohnung und trieb sich in der Stadt herum. Doof nur, dass er keine Karre mehr hatte. Zuerst war der Lappen weg, wegen läppischer 1,2 Promille, dann der Taunus, wegen notorischer Klammheit. Pit hatte so seine Adressen. Ku’damm, zwischen Uhlandstraße und Halensee. Er saß die Zeit in seinen Pinten ab, bequatschte mit Kumpels Projekte, die das große Geld bringen sollten, machte sich an Frauen ran, die ihm über den Weg liefen. Abends hatte er dann genug – entweder kriegte er aber die Kurve nicht und versackte. Oder er schaffte es halbwegs aufrecht nach Hause, und dann standen die Chancen nicht schlecht, dass er sein Hildchen vertrimmte.

Ein Glück, dass Pit – trotz seiner imposanten Statur – von anfälliger Gesundheit war. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte: Das Saufen bekam ihm nicht. Aufhören konnte er nicht mehr, obgleich er wusste, wie sehr er mit dem Feuer spielte.

Auch der Arzt richtete nichts aus. „Herr Küneke“, sagte der Doktor, der ihn wegen einer schlimmen Grippe visitierte, „wenn Sie das nicht in den Griff bekommen, kann ich für nichts garantieren.“ „Mir doch ejal“, brummte Pit. Der Arzt, ungehalten: „Ich weiß nicht, ob Sie mich richtig verstanden haben, Herr Küneke. Wenn Sie weiter so trinken, werden Sie daran sterben.“ Küneke, mit zornigen geröteten Augen: „Herr Dokta, det is imma noch meine Sache, wa? Also, sin’Se ruhig, bitteschön.“

Der Arzt schrieb etwas gegen die Grippe auf, zuckte mit den Schultern, packte seine Siebensachen ein und drückte sich an Hildchen, die – blass und ungerührt – die Szene beobachtet hatte, vorbei durch die Tür.

Beim nächsten Mal betrat er das Zimmer, in dem ein tot gesoffener Pit in seiner eigenen Scheiße und Kotze lag. Da war Hilde schon ausgezogen.

 

Nächste Folge: Hilde hält durch