MON AMOUR?

Krohn wird umziehen. Weg aus der lauten Stadt. Weg in die Welt. An den letzten Tagen sieht er sich noch einmal um. Lokaltermine, jeden Morgen um dreiviertel sechs in Berlin und im Brandenburgischen.

 

Krohn hat sogar ‘nen Steuerberater. Dem muss er noch Papiere bringen, bevor er in Berlin die Biege macht.

Um dreiviertel sechs ist der Steuerberater natürlich noch nicht da.

Macht nix. Krohn spaziert stundenlang durch den alten Westen, sieht den Müllmännern zu, isst am Stuttgarter Platz ein Gebäck, guckt sich an der Kunstbücherei am Savigny die Augen aus dem Kopf. Er lässt sich hinunter treiben zum Bahnhof Zoo, kauft eine Zeitung und liest sie beim Kaffee, während die Menschheit ins Büro oder zum Sightseeing eilt.

Dann ist es zehn.

Zeit für den Fiskus.

 

Der Steuerberater kleidet sich cool, tut kulturbeflissen, ist geil auf Geld und residiert in Charlottenburg. Er huscht im Hintergrund durch seine Kanzlei und ist geschäftig.

Hans Krohn liefert die Akten bei einer verhärmten Dame ab. Er steigt die Stufen hinunter, tritt ins feine Berlin und beschließt, ein wenig zu promenieren.

Er flaniert hinüber zum Kurfürstendamm. Kempinski. Es hat zu nieseln begonnen. Zeit für einen Cappuccino unter Dach.

Rechts trinkt ein Ehepaar aus Dülmen Pils. Die Dame und der Herr sind hin und weg, weil sie dabei sein dürfen in der großen Welt.

Die Russin duftet. Ihr Mann raucht Zigarre. Er telefoniert oft. Krohn kann ein wenig Russisch, er versteht, dass da die Geschäfte nicht so gut laufen, und dass einer oder ein paar mehr über die Klinge hüpfen werden. Der Russe könnte aus der Petersburger Gegend kommen, sein Reden ist geschliffen, wenn auch gelangweilt, er hat keinen Bock auf die ganze Scheiße, die er da wegmachen muss.

 

Hervé setzt sich ungefragt zu Hans Krohn.

„Du hier?“, fragt er.

Krohn mag Hervé – eigentlich sind ihm Schwule fremd, aber Hervé ist in seiner Tuntigkeit ein ganz loyaler Mensch.

„Ja. Und?“

„Na, Du alter Sportsmann bist doch dauernd im Wald. Und jetzt im Kempi. Ich glaub’s nicht.“

„Hatte was zu erledigen. Wie geht’s denn so?“

Ach, meint Hervé. Es sei, wie es sei. Mit dem Albert, das füge sich nicht mehr recht. Und nun sei man in einem Alter, in dem man sich nicht auf die Schnelle ‘nen Anderen her biegen könne. Ach, eigentlich sei er recht, ziemlich, sehr unglücklich. „Schade“, sagt Hervé, „dassde so garnich schwul bist.“

Einfach nicht reagieren.

„Was meinste? Wolln wir nicht auf unsere NieLiebe einen trinken. Lass doch den Kaffee stehen, is verlorenes Leben.“

Die gelben Busse spratzeln über den nassen Asphalt, die Russin riecht ganz wunderbar, die Zigarre des Russen macht ganz kirre nach Leben.

„Klar, Hervé.“

Sie bestellen einen Weißen. Zwei Gläser, die erhauchen, wenn sie Wein bekommen.

Hervé erzählt aus seinem Leben. Er hat einen zarten Bariton, mag die Betonung der letzten Silben von Wörtern – ansonsten ist er okay.

Aufgewachsen in Rödelheim, früh schon in die Büstenhalter der Mama geschlüpft, Schneider gegen den Willen vom Vater gelernt, im Park erwischt, nach Berlin, zum Star-Designer geworden, zum Hervé geworden (der mit der Knef und dem Juhnke und der Merkel), sich durchgeschwult durch die Clubs und die Millionen-Macker, älter geworden und mit Geld, ojeh das Geld flutschte aus jedem Treffen, achwas das Geld war ja egal, wir wollten fickenblasenficken, jetzt eine alte Tunte, blöd, was?

 

„Und was machst Du so, Hansilein?“

Nichts Besonderes. Es seien seine letzten Tage in Berlin.

„Uuh! Wie?“

„Naja, ich zieh‘ weg.“

„Neuer Kiez? Find‘ ich gut.“

„Nee. Neue Stadt.“

„Uuh! Wie?“

Ab in den Süden. Es hat sich ausberlinert. Nochmal durchstarten mit dem Fotografieren. Wird schon klappen.

Hervé ist betroffen. Jetzt sei man sich so nah gekommen, und da muss dieses Hansilein die Biege machen. Nicht gut, gar nicht gut, „hach, trinken wir einen drauf.“

Der Kurfürstendamm flirrt. Die Zigarre des Russen ist ausgegangen. Die Russin hat grüne Augen und schon zum dritten Mal rüber gesehen. Könnte sein, sie hat gelächelt.

Hans Krohn ist ein klein wenig benommen. Ein bisschen traurig. Unsicher.

Ganz einfach ist das Weggehen nicht.

 

Ist schließlich die Stadt, in der er die Kurve gekriegt hat.