MIKE

sommer zwanzichfuffzehn XXXVIII

Sabrina freute sich. Samstag. Es war ein Sturm aufgekommen, und auf dem Markt hatten sie den Stand vor der Zeit dicht gemacht. Sabrina kam ins Hotel, klitschnass von einem Regenschauer und vergnügt wie ein kleines Mädchen. Der Mann an der Rezeption vergaß seine schlechte Laune. Er musste jedesmal, wenn er diese Frau sah, lächeln. Seiner Alten würde das nicht gefallen – egal: sein Geheimnis. Nach mehr Fremdgehen war ihm gar nicht.

Sabrina klopfte anstandshalber, öffnete gleich darauf die Tür. Hans lag auf dem Bett und las.

“Du? Was…?”

“Es ist so schlechtes Wetter. Wir haben Abend gemacht.”

“Feierabend, meinst Du.”

“Ja, genau. Feierabend.”

“Dann lass und feiern. Was wollen wir machen?”

“Wir bleiben im Zimmer. Ich habe schöne Sachen dabei.”

Graues schweres Gewölk schob sich über die Stadt. Sturmböen zerrten an den im Hafen vertäuten Booten und rüttelten an Fensterläden. Aus dem Radio kam Schubert. Sie liebten sich langsam, ohne Hast.

Danach schnitt er Salami in sehr dünne Scheiben. Schön mache er das, sagte sie lächelnd, legte ihm einen Schnitz Pfirisich auf die Zunge. Der Rosé schmeckt nach Himbeeren und hatte ein wenig Kohlensäure. Sabrina sagte, sie habe viel an die Geschichte dieser Romina denken müssen.

“Du hast gesagt, dass ein Mann sie kaputt gemacht hat.”

“Ja”, sagte Hans.

Mike hieß der Typ.

 

 

Mike:

Blond.

Einsfünfundachtzig.

Malibu-gebräunt.

Strahle-Gebiss, Wolfszähne, Eroberer-Lächeln.

Ein Cowboy.

Ein Smoking-Kavalier.

Ein Sport-Ass.

Ein Sieger.

Mike flog alles zu. Er hatte nie Mühe. Mike wurde nie laut, er gewann die Menschen durch seinen Charme.

Er tanzte mit einer großen Leichtigkeit. Romina gab sich seinen Armen hin und schauderte, wenn er ihr ins Ohr hauchte. Mike musste sich nicht anstrengen – sie verfiel ihm an einem Abend.

Las Vegas, die Lichter, das breite Bett, der Champagner, Musik von Sinatra, Mikes Geruch nach Mann und edlem Duftwasser, seine Erektion (groß, leicht gebogen, sehr hart).

Das Kuscheln danach an seiner behaarten Brust. Immer noch die Lichter von Las Vegas; Lichter, die sie nie vergessen würde. Seine Hände, die über ihre Haare strichen. Die Lust-Gänsehaut.

Der erste Schluck Champagner, im Er-hat-mich-so-schön-gefickt-Gefühl.

Das war’s!

 

Udo Krawittke, abgemeldet. In den Staaten realisierte er das noch nicht. Er sah Romina nicht mehr oft, aber so schlimm war das nicht. Es gab viel zu sehen und zu lernen. Tagsüber wanderte er durch Vegas und versuchte, mit dem Neuen fertig zu werden. Trieb sich stundenlang in Supermärkten herum und staunte über das Ami-Wirtschaftswunder. Ab und zu machte er einen Tagesausflug – Disney Land in Anaheim, Hoover Dam, Lake Mead, Valley of Fire. Anstrengend, das alles – aber mal was ganz Anderes für ’nen alten Spandauer.

Abends stieg er in den Smoking, bezog an einem der vorderen Tischen im „Dunes“, bestellte ein Glas Champagner und Steak mit Pommes. Er berauschte sich an Rominas Auftritt, im Kopf summte es bei jedem Song mit. Nach dem Auftritt fragte ihn Mike, ob er noch mit wolle, man gehe zu dieser oder jener Feier, man wolle einfach ziellos um die Häuser ziehen. Udo überlegte kurz, sagte dann, er gehe lieber ins Bett, er sei müde.

Romina und ihre neuen Freunde verschwanden in der Nacht. Am nächsten Nachmittag würde man sich wieder sehen. Romina hatte sich angewöhnt, bis nach dem Lunch zu pennen. Sie brauchte den Schlaf – für den Teint und so.

Dass ihm die Schwester abhanden gekommen war, erkannte Udo erst, nachdem sie nach Deutschland zurückgekehrt waren. Da war alles plötzlich ganz anders als früher.

Da hatte der Absturz schon begonnen.

 

Mike:

Blond.

Einsfünfundachtzig.

Las-Vegas-Pool-gebräunt.

KadeWe-Großkunde.

Hemden mit Pinguin-Krägen aus „Norberts Boutique“ in der Bleibtreustraße.

Bally und sonst nix an den Füßen.

Der Mann für jede Premiere.

Mike schmiss die Runden.

Mike vögelte Romina das Hirn aus dem Kopf.

Er beschiss sie, und sie konnte sich nicht wehren. Er packte sein Portefeuille voll mit ihrem Geld, ließ sich in die City chauffieren. „Sie brauchen nicht zu warten“, sagte er zum Fahrer. Der tippte mit dem Finger an die Schirmmütze, lächelte komplizenhaft und freute sich über den Feierabend. Mike stieg aus, enterte die erste Bar der Nacht und eröffnete die Jagd.

Er machte immer Beute. Dann ließ er sich das Hirn aus dem Kopf ficken.

Er wusste, dass unterdessen Romina im Keller Filme guckte und verheulte Augen hatte. Interessierte nicht – wenn er, nach fremder Frau riechend, heimkehrte, duschte er, nahm Romina in den Arm und redete sie gefügig.

Er führte den Hund aus und kümmerte sich ab und zu ums Frühstück. Das Spiegelei – das sie eigentlich nur well easy overdone mochte – briet er nach Lust und Laune. Und sie war dankbar.

Sie nahm seine Eier – pardon – immer gern und dankbar.

Mike hatte Visionen. Er wollte ein Label gründen, er wollte im Fernsehen einsteigen, er wollte eine Modemarke für die Welt erfinden, er wollte Abermillionen mit Immobilien scheffeln.

Er brauchte Büros und Häuser und Autos. Er brauchte und brauchte und investierte und investierte.

Er hatte Bankvollmacht.

„Sing“, sagte er, „Baby, sing. Den Rest mache ich. Bald musst Du nicht mehr auftreten. Dann sitzen wir abends am Kamin, und oben schlafen die Kinder.“

Er hängte die nächste Goldene Schallplatte ins Treppenhaus.

Er lächelte überlegen, als die Herren von der Bank mahnten, man solle das Glück nicht strapazieren.

Er brachte Romina bei, wie man trinkt, bis man vergisst.

Er fädelte Intrigen ein. In der Branche sagten sie, von Romina und ihrem Manager solle man besser die Finger lassen. Die Engagements blieben aus, die Plattenfirma kappte den Vertrag, im Fernsehen wollten sie Romina nicht mehr.

 

Mike hörte auf zu lächeln.

Hartes Gesicht.

Kein Frühstück.

Keine Eier.

Auszug aus der Villa.

Dann war der Mann weg.

Sie ein Wrack. Die Zukunft hatte sie hinter sich.

Die Männer auch.

Nie mehr ein Mike! 

Ohnmächtig sah Udo, wie sein und das Leben seiner Schwester den Bach runter gingen. Dieser Mike zündete seine Davidoffs mit Tausendern an, sozusagen. Der feierte jeden wirtschaftlichen Crash mit Dom Perignon. Der ließ sich einen roten Teppich ausrollen, wenn er zum Scheißen stolzierte. Der brauchte nicht mal Pfandhäuser beim Insolvieren, lieber beglückte er mit seinen Bad Deals die Banker, die Rominas Vermögen nach und nach einkassierten.

Die Häuser, die Autos, die Konten – alles machte Mike in erstaunlicher Geschwindigkeit platt. Es dauerte drei Singles, dann war Romina pleite. Der Tag, an dem sie zur Besprechung der Kontenlage bestellt war, begann damit, dass die Sängerin dem Mann ihres Lebens im Vestibül begegnete.

Mike stellte die beiden Koffer ab, sah sie an – von oben nach unten, abschätzend, abschätzig – und sagte leise: „Ich gehe. Das hat hier keinen Sinn mehr.“ Er nahm die Koffer und war durch die Tür. Draußen wartete ein Taxi.

Romina blickte dem Wagen nach, der über den Kies zum Tor rollte. Die Sängerin konnte sich nicht bewegen. Sie hatte das Gefühl, sie würde sich nie mehr rühren können. Hinter ihr stand Udo und sah seiner Schwester beim Altern und Unglücklich-Werden zu.

Später am Vormittag erklärte der Mann von der Bank, dass man beim besten Willen nichts mehr für Romina tun könne. Es tue ihm so Leid, zumal seine Frau und er Romina und ihre Lieder dermaßen lieben würden. Aber es hülfe nicht: Ihre Konten seien über Gebühr belastet. Man habe da einen Vorschlag, das verbliebene Haus betreffend:

So wurde Romina den letzten Besitz los.

Die Aufträge waren rar geworden. Mike hatte mit seinem Gehabe und seinen Intrigen Romina unmöglich gemacht. Niemand wollte noch etwas von ihr.

Udo und seine Schwester zogen um. Vom Grunewald in ein Häuschen nach Spandau, später nahm sich jeder eine kleine Wohnung.

Die große Romina musste tingeln. Eröffnung eines Möbelhauses, Unterhaltungskanone bei einer Betriebsfeier, Interpretin des Geburtstagsständchens für einen Industriellen, Heile-Welt-Botschafterin tief in der Provinz.

Die Gagen waren beschämend, das Publikum undankbar, die Hotels jämmerlich. Rominas Leben: ein Graus.

Sie nahm mehr Tabletten, als sie je genommen hatte.

Aber sie überlebte. Romina hatte mit den Männern und den Gefühlen abgeschlossen. Aber sie hoffte. Wusste nicht worauf, dennoch…

Die Fans von früher waren ihre Rettung. Die wollten immer noch etwas von dem Star, der aus der Fabrik gekommen war, hören.

Romina kam wieder auf die Beine. Dass sie nach dem Konzert, nach der Aufnahme der neuen Platte, nach dem Auftritt in der ZDF-Hitparade die Tür hinter sich schloss, die Rollläden runter ließ, sich im dunklen Zimmer die alten Filme ansah und aufs Wirken der Tabletten wartete, wusste nur Udo.

„Du solltest wieder eine Kur machen“, sagte er.

Seine Schwester guckte ihn an, sie hatte schwere Lider und ein verquollenes Gesicht, sie war keine Schönheit mehr.

„Meinst Du? Naja.“

„Weißte noch, damals? Das war hart, am Anfang. Aber es hat Dir so gut getan.“

„Jaja“, sagte sie. Mehr nicht

Sie einigten sich, dass sie nach den nächsten Konzerten eine Auszeit nehmen würde. „Davor lasse ich mich aber mal untersuchen. Irgendwie bin ich schlapp in der letzten Zeit.“

„Das machste.“

Udo begleitete sie zum Arzt. Der stellte Krebs fest. Endstadium. Zwei Monate später starb Romina, es war ein heiterer sonnendurchfluteter Morgen.

Großes Begräbnis, viele Berliner, viele Stars. Udo, fassungslos und vierschrötig, mit einem Schäufelchen Sand, blickte auf den Sarg unter ihm. Kippte den Sand ins Grab. Hilflos lächelnd ließ er die Kondolierenden an sich vorbei ziehen.

Er fiel in ein großes Schweigen. Beim Arbeitsamt machten sie ihm, der schon gut über die 50 war, keine Hoffnung. Viel Stütze gab es nicht, eigentlich war es nicht der Rede wert. Eine Weile konnte er sein kleines Appartement im neunten Stock eines herunter gekommenen Hochhauses noch halten, dann musste er auch da ausziehen.

Udo Krawittke landete auf der Straße. Seine kleine Habe (der gute Computer, ein Fernseher, noch ein paar Kleinigkeiten) durfte er auf dem Gelände eines Bauunternehmers – eines großen Verehrers von Romina – unterstellen. Krawittke selbst ließ sich gehen, übernachtete bei neuen Bekannten auf einer Bank am Spreeufer. Er stank, starrte stundenlang auf ein Foto seiner Schwester, das er immer bei sich trug: Romina, in Las Vegas, im Paillettenkleid, mit diesem berückenden Lächeln.

Es wurde Winter an der Spree. Das hielt Krawittke nicht aus. Er war nicht wie diese Frau, die erklärt hatte, sie würde nie mehr unter einem Dach schlafen, sie bräuchte ihre Freiheit. Oder wie dieser Dragan. Dem schien Kälte nichts auszumachen. Er trank seinen Fusel, verschwand im Schlafsack (man sah nicht mal mehr seinen Haarschopf) und pennte bis zum nächsten Morgen.

Nein, dafür war Udo Krawittke – ein großer Mann, aber eben dann doch eher ein Weichling – nicht gemacht.

Das Ende war in Sicht.