DIE ÜBERKRIECHER

lindow, 16. juni 2015

Natürlich kann man auch, wie der jetzt mit 70 gestorbene wundervolle Harry Rowohlt gerne als Vorleser zum Besten gab, Schnecken streicheln und dadurch angeblich das Gedankenlesen fördern. Klar gehe das, bollerte es aus Rowohlts Bart heraus. Dann grinste er bis zu den Ohren und trank erst einmal ein Schlückchen. Schnecken streicheln! Das war einem durchgeknallten Autoren-Team eingefallen – und Rowohlt zitierte genüsslich aus dem bizarren Bestseller. Er selbst hielt es da eher mit einer Devise, die ihn zeitlebens begleitet hat: “Eins in die Fresse!”

Das ist denn auch die Parole des gestandenen Gartenfreundes. Wenn es um Schnecken geht – nackte, solche mit Haus, weiße und orangene und fleischfarbige, kurz wie Haribo-Lakritz-Stängelchen oder dick wie Nürnberger Bratwürstl -, wenn es also um Schnecken geht, dann gibt es nur ein Motto: Eins auf die Fresse! Zumindest ordentlich die Fühler polieren!

Schon mal aus der Nähe gesehen, was für “Fressen” die Biester haben?

Der Biologe nennt die Monsterteile “radula”. Auf Deutsch: Raspelzunge.

Die Raspelzunge – das ist ein fürchterlicher Mini-Schaufelbagger: Ein elastisches Band, mit mikroskopisch kleinen Zähnchen besetzt, wird über einen knorpeligen Kern geführt. Dabei raspeln die Radulazähnchen Nahrungspartikel ab und befördern sie in den Schlund der Schnecke.

Die Raspelzunge arbeitet sich durch den zartgrünen Salat und hobelt den jungen Kohlrabi außer Form. Eine Schleimspur der Verwüstung zieht solch ein softer Raspelzungen-Rowdy durchs Beet. Wenn man genau hinhört, ist ein kratzendes, schabendes Geräusch zu vernehmen.

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Weg geraspelt, ausgehöhlt, unterwandert. Die Schnecke kommt, raduliert und siegt. FOTOS: BARBARA VOLKMER

Der Gartenfreund will es aber gar nicht hören. Er will auch gar nicht wissen, was für Lustmolche die Schnecken sind.

Ist ja keine Entschuldigung, dass die als Zwitter durchs Leben kriechen!

“Ihre Geschlechtsöffnung befindet sich rechts am Kopf. Zur Paarung legen sich zwei Tiere nach aufwändigem Balzverhalten Wange an Wange aneinander, stülpen ihre männlichen Begattungsorgane aus und vereinigen diese. Über diese Verbindung werden dann Spermapakete ausgetauscht”, erklärt Dieter Martin, Leiter der Forschungsstation Deutschen Wildtier Stiftung im mecklenburgischen Gut Klepelshagen.

Nach der Paarung legen beide Tiere bis zu 400 weiß gefärbte Drei-Millimeter-Eier, die mit dem Sperma des Paarungspartners befruchtet werden, in eine flache Bodengrube ab. Nach rund vier Wochen schlüpfen winzige Jungschnecken aus, deren Grundfarbe ein rötliches Grau ist und die oft noch dunkel gefleckt oder gestreift sein können.

Ein paar Wochen drauf sind sie im Beet.

Bei Ingolstadt pflegte eine Freundin in früheren Jahren die Schnecken, die sie einfangen konnte, hälftig mit einer Schere zu zerteilen. Heute hat die Frau zu weiser Güte gefunden und ertränkt die Tiere in Bier. Ein Gartenfreund zeigt Symptome des Schlagflusses, wenn auch nur das Wort “Schnecke” in seiner Nähe fällt. “Ich trete jede tot, die ich finde”, knurrt er. Ein Anderer hat sich dem gelebten Zynismus verschrieben. Er hasst die Schnecken – aber er liebt es, sie dem Nachbarn in den Garten zu werfen.

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Gefahr droht. Noch grünt so grün, was grünen soll. Doch kriechend naht sich das Ungetüm.

So zeigen viele Beet-Betreiber, wie es tief in ihnen aussieht, wenn sie über ihren Umgang mit den Schnecken sprechen. Ihnen hilft es übrigens auch nicht, dass der Naturschutzbund sich in politischer Korrektheit versucht.

“Natürlich”, räumen die Anwälte der Tiere ein, “sind diese Schnecken ärgerlich.”

Aber – und dann wird es lächerlich (jeder Salat-Anbauer weiß, dass Schnecken Profikiller im Beet sind) – angeblich reiche es, “um gefährdete Pflanzen herum den Boden möglichst offen zu halten und nicht oder nur sehr dünn zu mulchen, damit der Boden abtrocknen kann. Ein probates Mittel ist es auch, rund um die Beete eine breite Schicht aus Sägemehl und Kalk zu streuen. Schnecken meiden raue Oberflächen, und der Kalk verätzt ihre Sohle. Bei Regen ist diese Methode aber nur bedingt wirksam oder muss häufig wiederholt werden. Sehr wirksam, weil schnecken-, aber nicht umweltgiftig, ist auch der Einsatz von Kaffee und Kaffeesatz. Im Fachhandel gibt es zudem sogenannte Schneckenzäune zu kaufen, die von den Tieren nicht überklettert werden können.”

Geht’s noch? Da lacht sich doch jeder gestandene Schneck scheckig.

Und was ist mit den Waffen aus dem Fachmarkt? Tja, mal wirken die, mal nicht. Die sind wie die tollen Kriegsgewehre der Frau von der Leyen. Wenn sie nicht scharf schießen, gibt es wenigstens Ausreden.

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Zu den Waffen. Wahlspruch: Wir haben keine Chance, wir nutzen sie.

Gegen Schnecken hilft nur: Kapitulation.

Oder wenigstens ein Kompromiss:

Vielleicht ist es wirklich das Beste, herauszufinden, wie sehr man den Nachbarn mag. Wenn der Typ einem auf den Zeiger geht, dann machen Schnecken im Flug ein sehr losgelöstes Gefühl.

Morgen: Vorsicht! Minze im Vormarsch!