KAUFRAUSCH

berlin, 23. februar 2015

Das war ein “Gassi”-Gang, auf den “Sputnik” gut hätte verzichten können. Sie haben ihn am Samstag in ein Gewerbegebiet im Süden Berlins chauffiert, im Wagen warten lassen – und kamen dann zurück mit einer Einkaufskarre, in der Schnäppchen lagen. Die waren alle spottbillig. Aber mal ehrlich – Hund-Beute war nicht dabei. Was für eine Zeitverschwendung!

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Kucke nix koste! Kaufe auch fast nix! FOTOS: BARBARA VOLKMER

Geködert hatte der Discounter die Menschen mit gelben Flugblättern. Da stand etwas von “Schnäppchenpreisen” für alle möglichen Artikel – Kosmetik, Ernährung, Elektronik, Textilien, undundund.

Die Zettel waren unscheinbar und nicht sehr appetitlich. Aber am Samstagmorgen sind die Konsumenten in Scharen zu dem Gewerbegebiet in Großbeeren gefahren. Manche kamen sogar mit Kleintransportern und in Kleinrudel-Stärke.

Sie formierten einen Lemming-Marsch, alles staute sich am Eingang, 30 Meter lang war die Schlange. Warten, warten, warten – am Brenner heißt so etwas “Blockabfertigung”. In der Halle ein Geschiebe, ein Gesuche, ein Gerangel. Palettenweise wurde die Ware weg gekarrt. Und die “Security”-Bodybuilder mit den raspelkurzen Haaren passten schön auf, dass die Kundschaft alles zahlte und danach zügig durch den Hinterausgang verschwand.

“Sputnik” und seine Leute sind eigentlich zu spät dran gewesen. Nachmittags war die Halle eher ein Schlachtfeld als ein Kauf-Paradies.

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Wer zu spät kommt, den bestraft das Lager.

Und doch agierten die Menschen nach dem Beutezug-Schema, das Verhaltensforscher auch bei Hunden beobachtet haben:

Das zügige Reagieren auf Beute hat eine starke genetische Komponente. Gleiches gilt für die Neigung, auf bestimmte Gerüche zu reagieren, sie unterliegt allerdings stärker dem Lernen. Wenn entsprechende Signale auftreten, können sie sehr zügig in Erregung versetzen und weiteres Jagdverhalten auslösen, das Verfolgen (nach Sicht oder nach Geruch), Erstarren (nach dem Aufspüren), das Fixieren (Einschätzen der Situation/des Beutetiers), das Lauern und Anschleichen (bis zu einer bestimmten Distanz), das Hetzen (möglichst schnelle Annäherung), das Angreifen, Packen und Töten. Nach dem Schlagen der Beute wird diese entweder vor Ort verzehrt oder weggetragen.

So hat sich denn auch ein kleines Waren-Kunterbunt in “Sputniks” Karre angesammelt. Und er kann, mit hängenden Ohren, drin hocken und den anderen Zu-Spät-Gekommenen zusehen, die ihre Beute zu den Automobilen schaffen. Allesamt Menschen, die vom “Kaufzwang” bedroht sind.

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Leere, zum Gähnen, für einen Kauf-Süchtel.

In der Fachsprache ist hier die Rede von “Oniomanie” – das kommt aus dem Altgriechischen und setzt sich aus “onios” (käuflich) und “mania” (Wahn) zusammen. Experten sagen, es handle sich um eine psychische Störung bei Konsumenten, die sich als zwanghaftes, episodisches Kaufen von Waren äußert. Kaufsucht ist erstmals ausführlich 1909 in der ersten Auflage eines Lehrbuchs von  Emil Kraepelin beschrieben worden.

Die Menschen steigern sich momentan in einen üblen Rausch. “Sparen ist in den Augen der Konsumenten offenbar zuletzt unattraktiv geworden, denn die klassischen Geldanlagen werfen kaum noch Zinsen ab”, sagt GfK-Marktforscher Rolf Bürkl. “Mehr und mehr Verbraucher überlegen, das Geld für Anschaffungen auszugeben, als es auf die Bank zu tragen.”

Konsumforscher Gerhard Raab von der Fachhochschule Ludwigshafen wiederum hat nachgewiesen, dass sich die Anzahl kaufsuchtgefährdeter Menschen zwischen 1991 und 2001 versechsfacht hat. Sie stieg von 160000 auf 960000. “Beim Konsum”, so Raab, “hat die Wiedervereinigung reibungslos funktioniert.”

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Raus hier! Unverrichteter Dinge…

Der Wissenschaftler schlägt Alarm. Höchste Zeit, warnt er, dass ein “kompetentes, selbstbestimmtes Kaufverhalten” an den Schulen unterrichtet wird. Das ist im Interesse aller – auch zum Beispiel der Discounter, die ja letztlich nichts davon haben, das “sich die Kunden kaputt kaufen”.

Das alles ist für einen wie “Sputnik” nur wissenschaftliches Gekläffe. Er sieht die Geschichte eher pragmatisch:

Da machen sich die Menschen die Mühe und nehmen die Fährte der Beute auf. Sie wühlen sich durch ein fremdes Revier in einer fremden Halle. Sie machen ihr Ding an der Kasse.

Soweit alles in Ordnung. Menschen-Aktion eben.

Aber dann kommen sie zurück – und was haben sie dabei?

Shampoo. Pappsüße Pralinen. Klebestifte. Klopapier. Solche Sachen.

Aus Hundesicht lauter Sondermüll. Man kann die Leute wirklich nicht aus den Augen lassen!

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Beute? Nee, wirklich nicht! Ein Trauerspiel.