HUHU, IS DA KEENER?

berlin, 19. januar 2017     —- winter 16/17, Folge XII

Monatelang ist Karin aus Britz, eine der Treuesten aus der „Knut“-Gemeinde, allein mit ihren Gedanken an den weißen Bären und seinen Tierpfleger Thomas Dörflein. Seit die Beiden nicht mehr sind, hat sie nur noch ihre Erinnerungen und die seltenen Telefonate mit anderen Frauen, die den Knut und den Thomas auch nicht aus dem Kopf bekommen.

Karin verlässt ihr Haus in der Mohriner Allee nicht mehr oft. Vor Kurzem verabredete sie sich mit einer Bekannten aus dem Supermarkt. Man traf sich beim Chinesen um die Ecke. Die alte Dame – sie ist schon über 90 – schob ihren Rollator flott ins Restaurant. Karin tat sich schwerer.

Man bestellte Frühlingsrollen und Ente, alles schien gut. Während des Hauptgangs begann Karin zu schwitzen und kriegte nur noch schlecht Luft. Mit rotem Kopf sagte sie, sie halte es nicht mehr aus.

„Dit war wieda so‘ne Panik-Attacke. Da kann ick nix machen, da muss ick anne Luft.“

Das Essen war zu Ende, Karin rettet sich zurück in ihr Haus und schwor sich, erstmal keinen Fuß vor die Tür zu setzen.

 

Stößgen! Uff Knut! Prost! FOTOS: BARBARA VOLKMER

 

Sie telefoniert mit Hilde. Die ist nur am Lamentieren. Die Decke falle ihr auf den Kopf. Die Rente reiche vorn und hinten nicht. Tagelang sehe sie keinen Menschen. Nur Fernsehen und der Blick aus dem Fenster.

„Mit Jammern wird’s nicht besser“, sagt Karin. Dabei versteht sie genau, was Hilde meint. Aber sie mag die Andere eigentlich gar nicht. Die flirtet immer noch mit den Kerlen, das kann sie nicht lassen.

„Ach weißte“, erwidert Hilde. „Es geht zu Ende, das wissen wir doch beide.“

Unvermittelt schluchzt sie. Was los sei, fragt Karin.

Ach, sie habe das niemandem erzählt. Aber vor fünf Wochen hat sich Hilde in die heiße Wanne gelegt und in die Unterarme geschnitten. Sie sei auch schon ein bisschen weg gewesen vom Fenster, aber das Wasser habe sie nicht abgestellt gehabt. Hat nicht gemerkt, wie es überlief. Hat auch nicht die Feuerwehrleute registriert, die die Tür aufbrachen, weil die Mieter unter ihr wegen des Wassers von der Decke Hilfe gerufen hatten.

Im Krankenhaus hatten sie Hilde wieder auf die Beine gestellt. Sie war nach Hause gekommen, und in der Wohnung sah es aus wie Sau. Teppiche kaputt, Dielenboden aufgequollen, ein Brief von den Nachbarn mit einem Kostenvoranschlag für die Haftpflicht.

Nur Ärger.

Und jetzt ist die letzte Kraft weg. „Ich mag nich mehr“, sagt Hilde, es klingt sehr müde.

„Na, denn fährst auch nich mit inne Limousine?“

Limousine? Wie denn?

Karin erklärt: Sie hat so eine dieser Karossen gemietet, die man aus den Serien von früher kennt. „Dallas“ und „Denver“ und so. Lang wie ein Lastwagen ist das Auto, kostet 150 Euro die Stunde, eine Pulle Sekt und der Chauffeur sind im Preis drin.

„Und das haste jemietet?“

„Ja, jenau.“

„Biste plemplem? Haste jeerbt?“

Nein erklärt Karin. Der Geburtstag von Knut hat sich gerade zum zehnten Mal gejährt – und überhaupt. Es ist wieder Mal an der Zeit, aktiv zu trauern.

„Kommste mit? Is noch ‘n Platz frei inne Scheese.“

„Nee, lass man.“

„Na jut. Dann kannste’t ja in Fernsehen kieken.“

„Wie, Fernsehen kommt ooch.“

„Logisch. Allet bestens vorbereitet. Für’n Knut nur vom Feinsten.“

 

Watt denn? Du kennst den Knut nich? Na denn hör ma jenau zu!

 

Der Wagen misst neun große Männerschritte und ist rosa wie ein Babydoll von Marilyn Monroe. Karin vom Zoo zuppelt sich den Anorak zurecht, gleich wird sie einer von der Presse fotografieren. Danach hat sie wieder Zeit für die junge Journalistin, die von nichts eine Ahnung hat. Wie soll sie auch, hat doch weder den Knut noch den Thomas je erlebt.

Also klärt Karin sie auf.

Die vier Freundinnen sind schon in die Limousine geklettert und wollen los.

„Karin, jetzt lass mal gut sein. Du hast fürs Fahren gezahlt, nicht fürs Stehen.“

Unwillig winkt Karin ab. Ja klar, sie hat bezahlt, dann bestimmt sie auch, wann gestartet wird.

„‘n schöner Mann is dit“, sagt eine der Damen und kichert. Sie meint den Chauffeur, der den Führerschein augenscheinlich noch nicht lange hat. Aber die Haare hat er nach hinten gegelt und den Damen ein Glas Champagner eingeschenkt. Außerdem riecht er nach Herrenparfum.

Karin steigt zu.

Na endlich!

„Fahren’Se mal den Ku’damm rauf und runter. Denn zum Nolle und hinten rum zum Zoo. Beim Aquarium können’Se uns raus lassen.“

Die Limousine setzt sich in Bewegung, die Damen stoßen spitze Schreie aus. Eine greift sich den Sekt und trinkt gleich aus der Pulle. Abends, kräht sie, sei sie nochwo eingeladen, das werde ein fröhlicher Tag. Endlich mal was los.

Karin besieht sich das Treiben der Freundinnen und kann nicht an sich halten. Sie redet und redet und redet. Den Ku’damm rauf und den Ku’damm runter, rüber zum Nolle. Draußen schieben sich die Menschen übers Trottoir. Wenn die Limousine an einer Ampel hält, ruft Karin durchs geöffnete Fenster, sie sei hier, man solle mal her sehen.

„Huhu, Ihr da draußen, Da kuckt Ihr, wa? Könnt Ihr uns sehen, Ihr da draußen? Die kucken ja gar nich richtich her, die ham Angst vor uns. Wir sin janz jroße Tiere, wa? Nee, das is’n Tach. Da hinten, schau mal, da hinten war mal ‘n Tanzcafé, wär‘ ich auch gern rin, aber mein Oller konnt‘ nich tanzen, so krank, wie der war. Sie, Fahrer, jetz müssen’Se links, runter zum Zoo. Wieviel Uhr isses denn, jleich müssen wir zum Fernsehen, die warten schon.“

Der Wagen steht wieder. Draußen eine Gruppe Japanerinnen.

„Huhuu!“

Keiner schaut. Karin mag das nicht.

„Huhuuu!“

Nochmal.

„Huhuuu!“

Berlin brummt vor Geschäftigkeit.

Und die alte einsame Frau kuckt aus der Limousine, deren Leihzeit jetzt abläuft.

„Huhuu, is da keener?“

Nee, Karin, nee.