TANZ AUFM GRAB

berlin, 18.januar 2017      —-    winter 16/17, Folge XI.

Hildegard Küneke! Gibt nicht auf. Auch wenn sie keine Hoffnung auf Besserung in ihrem Leben sieht, findet sie immer wieder einen Anlass zum Weitermachen. Am 16. Mai 2012 zieht sie ihr Ding bei der Polizei ab. Sie erstattet Anzeige gegen Unbekannt.

Das Delikt: „Diebstahl“, der Vorgang auf der Wache Spandau bekommt die Nummer 036376. Um 14.45 beginnt der beeindruckte Wachtmeister vor Ort mit den Notizen.

„Ick vasteh Sie“, sagt der Herr in Uniform, nachdem er das Schriftliche erledigt hat. „Da hängt schließlich Ihr Herz dran. So wat stiehlt man doch nich einfach so.“

Spricht’s, nimmt das sicher gestellte Corpus Delicti unter den Arm und kehrt zurück aufs Revier in der Moritzstraße.

Die ältere Dame sieht ihm nach. Dann marschiert sie über den Spandauer Friedhof  von der Stätte des Frevels wieder zu „ihrem“ Grab. Sehr zufrieden ist sie. Endlich würde Gerechtigkeit walten. Gerechtigkeit für ihren Knut und ihren Thomas Dörflein. Gerechtigkeit auch für sie.

 

 

Aber der Reihe nach.

Alles beginnt am 13. Februar. Für den Valentinstag will Hildegard Küneke das Grab von Thomas Dörflein, dem geliebten Pfleger des noch geliebteren Eisbären Knut, pflegen, einen Bund roter Rosen in die Vase der langen grauen Stele stecken und drunter ein neues ewiges Licht anzünden.

Der Atem stockt ihr, als sie an der letzten Ruhestätte eintrifft. Die Stele ist weg. Mit brachialer Gewalt aus den drei Schraubengewinden gebrochen. Fassungslos steht Frau Küneke – Freunde nennen sie „Hildchen“ – vor dem Tatort. Sie besorgt eine Vase für die Rosen und kehrt mit einem fürchterlichen Gefühl zurück nach Hause.

Sie schließt die Tür ihrer gemütlichen Wohnung in Charlottenburg, hängt den Mantel an den Haken, holt sich ein Bier zur Beruhigung aus dem Kühlschrank, schaltet den Radioapparat ein. Ruhig ist sie noch immer nicht, nein, Hilde ist stinkesauer.

Wenn es Knut und Thomas zu schützen gilt, wird sie zur Löwin. Nachdem der erste Schrecken vorüber ist, macht sie sich an die Recherche. Sie will die Stele finden, sie wird sie finden, wäre ja gelacht.

Die Miss Marple von Charlottenburg geht strategisch vor. Sie telefoniert mit dem Pfarrer, mit der Mutter von Thomas Dörflein. Die können ihr nicht weiter helfen.

Dann ruft sie den Spandauer Steinmetz, der die Stele im Auftrag einer Schweizer Freundin von Thomas Dörflein gefertigt hat, an. „Sagen’Se, wissen Sie, wat mit der Stele von dem Grab vom Dörflein passiert is? Die is nich mehr da.“

Nicht möglich, meint der Handwerker. Aber halt! „Liebe Frau, ich hab’ da was Komisches gesehen. Vor ein paar Tagen hatte ich auf dem Friedhof zu tun – und da war ein neues Grab. Ich hab’ mir noch gedacht, das ist ja nicht möglich. Die Stele da hat genauso ausgesehen, wie die, die ich für den Dörflein gemacht habe.“

Hildchen lässt sich erklären, wo ungefähr dieses Grab liegt. Es befinde sich in Abteilung 47 des Friedhofs „In den Kisseln“, sagt der Steinhauer.

Also fahndet sie einen Tag später in Abteilung 47. Reihe für Reihe klappert sie die Gräber ab. Und wird fündig. Da steht sie, die Stele – und das ist sie. Auf dem Stein ist zu lesen „Für Knut“. Kein Name, aber den braucht Hildchen nicht.

Sie findet heraus, dass die Angehörigen von einem anderen Knut die Stele angeblich auf einem Trödelmarkt gekauft haben wollen.

So’ne Gauner aber auch! Geklaut haben’se, nix Anderes.

 

 

 

Hildegard Küneke ruft also in der Moritzstraße an und erklärt, sie wolle Anzeige erstatten. Man vereinbart, dass ein Beamter sich am kommenden Nachmittag gegen zwei am Grab des Thomas Dörflein einfinden werde.

Er ist stattlicher Mann mit Brille und dem Gesicht eines Polizisten, der schon vieles gesehen hat.

„Also, die Dame, erzähln’Se mal.“

Hildchen legt los. Es hat sich soviel Ärger und Zorn in den vergangen Monaten angestaut – nun kann sich die alte Dame endlich einmal Luft machen. Es wird eine Tirade des Frusts.

„Nu ma langsam. Wir ham Zeit. Eins nachm Anderen.“

Hildchen beruhigt sich etwas und erzählt, der Reihe nach. Alles. „Is das nich schlimm, Herr Wachtmeister?“, fragt sie zum Schluss. „Das is doch ’n janz üblet Vabrechn.“

So ganz überzeugt ist der Herr Wachtmeister nicht. Sie möge ihm doch das andere Grab zeigen, meint er streng. Das, auf dem das vermeintliche Diebesgut stünde.

Logisch, sagt Frau Küneke. Man geht zur Abteilung 47, keine Minute dauert das. Und da ist sie, die Stele von Thomas‘ Grab, gewidmet „Für Knut“.

Der Herr Wachtmeister ist nun doch ein wenig verblüfft. Telefoniert mit der Moritzstraße. Ja, ist der Bescheid, er dürfe aktiv werden. Also zieht er die Stele aus dem humosen Boden. Begutachtet die Unterseite.

Und stellt fest: Die Abbruchstellen passen haargenau zu den Schraubenresten an Dörfleins Grab. Kein Zweifel, das ist die Stehl-Stele.

Es ist 14.45 Uhr. Zehn Minuten später gibt es die Anzeige Schwarz auf Weiß. Vorgangsnummer 036376.

Der Herr Wachtmeister bezeugt der Berliner Miss Marple seinen Respekt und bringt das Diebesgut aufs Revier.

Und die Dame? Tja, die hätte jetzt gern ’n Piccolöchen dabei. Das ist doch mal ein Grund zum Feiern, oder?

 

 

 

Egal, die Fete wird schon bald nachgeholt. Die Stele steht wieder an ihrem Platz, Frau Küneke hat eingeladen und sich für die Fotos hübsch gemacht. Wollmantel, drunter ein adrettes blaues Kostüm, Bluse, edle Nylons, Stöckelschuhe, Korsage unter der Bluse.

Ein Reporter knipst und notiert. Später wird er im „Kurier“ schreiben:

„Spandauer Friedhof, der Himmel ist regengrau, durch die Bäume geht ein starker Wind. Mag man hier sein?

Klar! Die drei Damen vom Grab sind quietschfidel. Die kessen Berlinerinnen wackeln ein wenig mit den Hüften und wippen mit den Zehenspitzen. Elvis Presley lässt es aus dem CD-Player rocken, die Croissants sind bereit.

Presley. Croissants. Tolle Laune. So hätte es der Thomas gewollt.

Hilde aus Charlottenburg hat sich eine angesteckt und raucht mit Genuss. Erika aus Spandau blickt mit einem liebevollen Erinnern auf den Grabstein ihres Sohns. Karin aus Rudow summt zum Elvis, bricht ab und sagt, dass es der ganze Spandauer Friedhof auch hören möge:

,Das haben sie sich verdient, der Thomas und der Knut. Sie sind so klasse gewesen.’

Hilde, Karin und Erika Dörflein haben sich geschworen, sie würden Knut und Thomas zeitlebens nicht vergessen. Alle 14 Tage kommen sie hierher, um das Grab zu pflegen. Dann harken sie die Erde und ordnen die vielen kleinen Porzellan-Eisbären. Sie arrangieren die Fan-Briefe und die Devotionalien. Und sie reden über diesen klassekuschligen Knut, den der Thomas aufgepäppelt hat.

,Das waren vielleicht zwei Marken! Weisste noch, wie der Thomas dem Knut das Schwimmen beigebracht hat? Oder wie der Knut den Zoo-Besuchern ‘nen Ball zugeschmissen hat? Oder wie die mit ihrem Berliner Charme die Fernsehfritzen aus der ganzen Welt rum gekriegt haben?’

Das war einmal. Knut ist im Bären-Himmel, und Thomas musste vor drei Jahren begraben werden. Kaum war die Erde über den Sarg geschaufelt, da waren auch schon die Fans da.

Und es waren so viele, dass Hildchen jetzt handeln musste. ,Der Zoo hat mit Knut zehn Millionen verdient – aber was ist jetzt? Nix. Nicht mal eine Nullachtfuffzen-Gedenktafel. Da habe ich gesagt, so geht es nicht weiter.’

Die  alleinstehende Frau hat vom Ersparten rund 4000 Euro abgezweigt. Den Stein aus Carrara hat sie bestellt und die Nachbar-Parzelle von Thomas Dörfleins Grab für die nächsten 17 Jahre gepachtet.

Jetzt haben Knut und Thomas das Denkmal, das sie verdienen’.

Es hat begonnen zu nieseln. Stört die drei Damen vom Grab nicht. Sie wackeln weiter zu Presley-Klängen mit den Hintern, auch wenn der CD-Player ,so’ne Faxen’ macht.

Es ist eine wunderbare Friedhofs-Fete – sowas hat man in Spandau wohl noch nicht erlebt. Irgendwann radelt ein älterer Herr mit Schiebermütze vorbei und ist empört. Bremst ab, betrachtet die Feier voller Verachtung und brüllt: ,Haut doch ab nach’m Zoo.’

Da dreht sich die hüftschwingende Hilde um, fixiert den Miesepeter und erklärt so laut, dass man es in ganz Spandau hören möge:

,Hau doch selber ab nach’m Zoo. Da ist es nur noch langweilig – wo der Thomas und der Knut nicht mehr da sind. Aber Du passt da hin – geh‘ nur jleich bei die Affen! ’“

 

 

So steht es in der Zeitung. Und dann muss es wohl stimmen.

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