HELDEN


Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Krohn notiert, 20. Juni

Fronleichnam.

Der Herr hat ein graues Tuch über Bayern gebreitet. Am frühen Morgen hat es gar fett geregnet, jetzt hängen noch die Tropfen im jungen Mais und im Getreide, stumpf liegt das Gewölk auf dem Land.

Ich habe mich schwer getan bis hierher. Zweieinhalb Stunden Lauf-Arbeit. Die Blase drückt, obwohl da nichts sein kann, die Waden sind hart, Kiesel stoßen durch die Sohle in die Fußballen, von der Stirn tropft Schweiß in die Augen, und das brennt. Die Luft ist dick – als Jugendlicher plagten mich zu dieser Jahreszeit Asthma und Heuschnupfen, da hatte es auch so eine labbrige Luft.

Alles ziemlich blöd.

Es macht keinen Spaß.

Ich muss laufen, wenn ich im August starten will. Ich brauche die Kilometer.

Nein, schlimmer:

Ich muss das Laufen wieder lernen.

Das ist frustrierend. Kann mich nicht mehr so recht erinnern, wie schön das alles mal gewesen ist.

Aus Büschen am Fluss taumeln Kriebelmücken und stürzen sich auf meine neongrüne Sportjacke, dort setzen sie sich als kleine schwarze Punkte fest und irritieren mich. Wenn ich sie mit einer Hand weg wedle, komme ich noch mehr aus dem Rhythmus und ärgere mich.

Schubert im Kopf. Achte Sinfonie. Unvollendete. Erster Satz. Kein Licht in Sicht.

Ich sollte aufhören mit dem lustlosen Laufen.

Acht Uhr, sagt der Nachrichtensprecher im Kopfhörer. Die Nachrichten. Klimawandel. Rechte Gewalt. Mautgebühren. Drohnenkrieg. Fußball-WM der Frauen. Schwüle Tage und Gewitter. Fronleichnam. Stau bei Nürnberg.

Schwere Schritte. Noch zehn Kilometer. Kein Bock.

Ein Lied, zwo, drei, vier.

Bonnie Tyler. „I need a hero“.

Wo sind sie hin, die Kerle, wo sind sie, die Götter? Wo die weißen Ritter auf ihren Feuer-Zossen? Ich lieg‘ da und verzehre mich nach ihnen.

Und dann – Mitternacht durch – ist er da. Der Mann meines wilden Träumens. Der den Donner rührt, der mich in Flammen setzt, der mich von den Füßen holt.

Das Gebirge schmilzt in den Himmel, die Blitze teilen die See. Er ist da, der Kerlekerl – geritten durch Sturm und Eis und Regen. Da ist er, trotz Wut und Flut. In Flammen mein Blut.


I need a hero
I’m holding out for a hero till the end of the night
He’s gotta be strong, and he’s gotta be fast
And he’s gotta be fresh from the fight
I need a hero
I’m holding out for a hero till the morning light
He’s gotta be sure, and it’s gotta be soon
And he’s gotta be larger than life

Blitz im Körper. Stromstoß in den Waden. Flash im Hirn.

Flashback.

Ich. Jung.

Wettkampf. Als Eisenmann kurz vor der Linie. Im Ziel spielen sie „I need a hero“. Es wummert zu den letzten Schritten eines mordenden Marathons.

„I need a hero“.

Mein Lied. Meine Bonnie. Ich. Die Ziellinie.

Hero. Held. Weißer Ritter. Gewinner. Überlebender.

Ich.

Gefallen und aufgestanden. An nichts mehr geglaubt, aber weiter gemacht. Am Ende, am Ziel. Mein Gott, Ich.

Held.

So war das damals. Ich bin über die Linie geeiert, der Applaus war meiner, jemand hat mir einen Blütenkranz auf den Kopf gedrückt, eine hat mir eine Medaille um den Hals gehängt, in eine Silberfolie haben sie mich gewickelt, an den Tropf gehängt, später habe ich Bier getrunken, bis der Dosenturm umfiel, ich konnte nicht mehr gehen, aber ich war stark wie ein Riese.

Der Mann meiner wilden Träume. Ich.

Auf einmal ist alles wieder da. Die Beine stampfen die Schritte in den Schotter. Ich – operierter, alter Mann – zerteile die Maiswelten und das Getreidemeer. Über mir das graue Gewölk neigt sich vor Respekt, ich mache die Schultern ganz, ganz stark und renne ums Leben.

Ich, Held Hans Krohn, es geht mir gut.

Das ist für Dich Sabrina, diese Schritte sind für Dich, heulend werde ich Dich an meine Seite holen.

Und wenn mich nicht alles täuscht, schafft die Sonne sogar ein kleines Laser-Intermezzo.

Geil.

Ein Tag für Helden.