BERGAB


Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Krohn notiert, 7. Juni

Keine Zeit. Sitze vor der Staffelalm, hinterm Jochberg verschwindet der Tag, möchte noch bei Licht über die paar Felsen am Rabenkopf und dann hinunter nach Kochel.

Es war ein langer Tag. Zwölf Stunden durch die Berge. Jetzt noch ein Blick in die Stube der Alm („Wennst Deine Schuach ausziagst, deafst as Buidl vom Marc oschaung“).

Das Bild wird von einer Plexiglasscheibe geschützt. Ein Hirsch, gefolgt von der Kuh, quert von rechts nach links. Heller Grund, grüne, blaue und graue Kreiden. Keine Künstelei. Es ist wie eine Felsenzeichnung aus ganz alter Zeit.

Vom großen Franz Marc höchstpersönlich ist es.

Jetzt muss ich aber gehen. Die Beine tun weh. Wird noch ein langer Weg ins Tal. Ich werde wohl in Kochel übernachten. Muss Sabrina anrufen.

Krohn notiert, 8. Juni

Scheiß-Hotel, unbequemes Bett, freudloses Frühstück. Muskelkater wie schon lange nicht mehr.

Besuch im Franz-Marc-Museum, farbenerfüllt wieder ins Gebirge. Herzogstand. Heimgarten. Eschenlohe. Nach Murnau marschiert. Blauer-Reiter-Land in sengender Sonne, zu wenig zu trinken, nichts zu essen, die Laune war miserabel.

Kurz ins Murnauer Museum, da zeigen sie einen Russen, der zu Marcs Zeiten ein Schweinegeld mit seiner Malerei verdient hat. Führte eine Villa in München und ein Anwesen in Ascona, stellte zusammen mit den Besten der Zeit aus.

Wirklich?

Der Genin war seinerzeit einer der Erfolgreichsten. Sah schmuck aus, hatte Charme, konnte gut mit Frauen und Galeristen.

Wie er gemalt hat?

Vielleicht war ich einfach nur unfähig zu gucken, weil die Knochen so weh taten. Ich stand mit dreckstarrenden Beinen vor den Bildern und fühlte nichts. Gut, der Genin hat sich eine Zeitlang in Kaschemmen und Bordellen herum getrieben und dort mit dem Stift recht bezeichnend festgehalten, was er sah. Das hat etwas Exotisches, mich Anrührendes.

Aber die Bilder, die großen Bilder?

Nein, nicht für mich, nicht an diesem Tag.

Ich holte den Rucksack aus dem Schließfach und latschte zum Bahnhof. Nicht mal der Kaffee in der Hauptstraße hat geschmeckt.

Im Zug gekotzt.

Der Unterleib tut weh, im Urin ist Blut.

Habe ich mich übernommen – mit so einem kleinen Bergausflug?

Der ganze Optimismus ist futsch. Ich fühle mich krank.

Telefoniere mit Sabrina.

Wie es mir geht? Gut, sage ich, gut. Echt? Jaja, passt schon.

Sie glaubt mir wohl nicht. Ich glaub‘ mir ja selbst nicht.

Krohn notiert, 9. Juni

Sie hat mich gleich ins Bett gepackt. „Nix da, Du schreibst nicht, Du machst überhaupt nichts. Sei froh, dass Du daheim bist. Akzeptiere doch einfach die Krankheit. – Du Arschloch. – Oder denke wenigstens an mich.“

Mal ehrlich: Mir war zu schlecht, an irgendwen zu denken.

Mir ist nur durch den Kopf gegangen, dass sie schon eine bemerkenswerte Frau ist:

Hat selbst den Krebs im Leib und kümmert sich wie eine junge Krankenschwester.

Nicht schlecht.