HARTER HUND?

berlin, 20. februar 2015

Ein schneidiger Wind fegt übers Land, der Wannsee hat Falten. Die Leute wollen nach Hause – oder sie eilen dick vermummt und frohgestimmt zur Villa des Literarischen Colloqiums Am Sandwerder. Drinnen ist es menschenwarm, jeder Stuhl besetzt, alle harren des Messias dieses Abends. Ein Amerikaner wird kommen, der als einer der besten Schriftsteller der Zeit gehandelt wird. Und er hat in Berlin eine Weltpremiere.

Vielleicht nicht ganz. Der Star des Abends hat vor dem umjubelten Auftritt im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks (1500 Zuhörer, begeistert allesamt!) und der heutigen Lesung am Wannsee schon in Leipzig aus “Hart auf hart” gelesen und lesen lassen – aber das wertet sein Verlag wohl eher als Generalprobe in der Provinz.

 

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Der Herr der Wörter.

 

 

Nun, in der Hauptstadt, macht T.C. (das steht für Tom Coraghessan) Ernst. Weltpremiere! Danach tingelt er zwei Wochen durchs deutschsprachige Europa. Köln, Tübingen, Regensburg, Wien – immer große Hallen, immer ausverkauft. Immer die Ein-Mann-Show eines angenehmen Selbstverkäufers. Für sein Buch lässt es der Poet auch mal hart auf hart kommen.

Boyle ist ein begnadeter Buch-Business-Mann. Seine Auftritte lieben die Leser. Sie mögen es, wenn er mit ein wenig fisteliger Stimme erzählt, aus dem Original liest, sich dann zurück lehnt und einen deutschen Profi die übersetzte Version vortragen lässt.

“Es ist für mich ein großes Vergnügen, auf der Tournee dem englischen Text zu folgen, während ein toller Schauspieler aus dem deutschen Text vorliest – so dass ich nicht nur eine Deutschstunde bekomme, sondern die gesamte Performance. Es ist wundervoll. Ich kann jeder Nuance und jedem Tonfall folgen und dabei ins Publikum schauen und fühlen, wie sie sich alle auf den Text einlassen.”

Jetzt also “Hart auf hart”. Auf seiner Homepage werden die 400 Seiten so zusammengefasst:

“Absoluter Freiheitsanspruch und Verfolgungswahn. T. C. Boyle erkundet in seinem Roman die dunkle Seite der USA. Adam, den seine Eltern nach etlichen Schulverweisen und Therapiesitzungen aufgegeben haben, ist eine wandelnde Zeitbombe: In der Wildnis, wo er ein Schlafmohnfeld angelegt hat, führt er ein Einsiedlerleben und hortet Waffen gegen imaginäre Feinde. Aber es gibt jemanden, der sich in ihn verliebt. Sara hat ebenfalls ausreichend Feindbilder: Spießertum, Globalisierung, Verschwörer und die Staatsgewalt. Als sie Adam am Straßenrand aufgabelt, beginnt eine leidenschaftliche Liaison. Doch bald merkt Sara, dass Adam es ernst meint mit den Feinden, sehr ernst.”

Wer sich daraufhin das Buch besorgt, wird ab Zeile eins in den Sog der Erzählung gezogen. Da ist der Fabulant Boyle kompromisslos, sehr amerikanisch, ein großer Entführer:

Die Sonne stand senkrecht, sie war einfach da, direkt über ihnen, glühend heiß, und ließ ihn schwitzen, so dass die Unterhose scheuerte und das Hemd am Rücken klebte, als wäre es mit der Haut verleimt, und warum er sich von Carolee zu dieser Sache hatte überreden lassen, würde ihm für immer ein Rätsel bleiben. Der Bus schlingerte. Es stank nach Diesel. Unter dem Boden knirschte und kreischte das Getriebe, Metall auf Metall, als wollten sich die Zahnräder festfressen oder als würde das ganze Ding gleich in tausend Stücke zerspringen…

Wow!

Schon hat er sie. Alle aus der Gemeinde. Alle im Bann seiner Erzählung. Es ist ein großer Auftritt, den der Unterhalter T.C. Boyle allabendlich in den Sälen der Republik hinlegt. In der Colloqiums-Villa vergessen sie die Florida-Hitze und die Enge und sie reiten mit ihrem amerikanischen Helden atemlos durch die Nacht.

 

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Die “Bibel” der Stunde.

 

 

Alles wollen sie von ihm, diesem sehr schlanken Mann mit dem ein wenig wilden Haar und der Attitüde eines soignierten Alt-Hippies, wissen. Und er? Er lächelt still und gibt geduldig Auskunft.

“Ich freue mich über alle Fragen zu meiner Arbeit: Wann schreiben Sie? Wie schreiben Sie? Wo schreiben Sie? Tragen Sie Unterwäsche, wenn Sie schreiben? Meistens wollen die Leute wissen, wie es geht, damit sie’s dann selbst so machen können. Aber nein, im Ernst: Ich finde es eine ungeheure Ehre, dass die Menschen sich für meine Arbeit interessieren und dass sie es wert finden, in eine Buchvorstellung von mir zu kommen. Und deshalb gebe ich alles, was ich habe.”

Gute Show, Mann! Sehr gute Show!

“Ich möchte, dass Literatur die Menschen erreicht und sie anspricht – und zwar nicht nur Studenten und Akademiker. Deshalb mache ich meine Lesungen auch eher als Performance, es soll nicht so intellektuell daherkommen.”

Und wenn einer kommt und – nur mal beispielshalber – fragt: Mister Boyle – 15 Romane, fast 100 Kurzgeschichten, echt beeindruckend! Sagen Sie, hatten Sie schon mal eine Schreibblockade?

Dann lehnt sich der stille Poet zurück und grinst. Tut so, als ob er nachdächte – und gibt dann die Antwort, die ein Cowboy wie er geben muss: “Ich habe immer eine geladene Pistole in der Schublade, falls es passiert.”

 

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Buchen Sie mich! Wenn nicht mich, wen dann?