HABT EUCH LIEB!

„2017”*, Folge 26, 13. Oktober. Der letzte planmäßige Flug der Air Berlin – er kommt aus München – wird am 27. Oktober in Berlin Tegel landen. „Wir als Flughafen wollen uns angemessen von der Airline verabschieden“, sagt Flughafensprecher Daniel Tolksdorf. Aha, jetzt werden auch Kapital-Abstürze schon gefeiert.

 

Es ist eine fürchterliche Woche. Die Mauer ist weg, an einem Donnerstag sackt die Grenze in sich zusammen. Ein bacchantisches Wochenende bricht über Berlin herein. Unbedacht lieben sich die Menschen, Ost und West fallen übereinander her wie lang Getrennte.

Die Frau meint, man solle sich das unbedingt ansehen. Schöneberg liegt ein bisschen weit weg vom Geschehen. Sie will rüber zum Bahnhof Zoo oder an den Ku’damm, sogar Kreuzberg oder der Wedding gehen noch an. Aber doch nicht Schöneberg. Gefeiert wird nun mal anderswo.

Eddy will nicht dahin. Zu gefährlich für Viola, zu viele Menschen – und überhaupt, was soll das Ganze? Plötzlich entdecken die Ostdeutschen, dass sie die Westdeutschen so sehr mögen – und umgekehrt. Da stimmt doch was nicht. Er wird sich nicht anstecken lassen.

Du musst reden. Gerade Du!“

„Was soll das denn heißen?“

„Glaubste, ich bin blöd? Seit Jahren rennste zu der Schnalle drüben.“

„Wie?“

„Na, ick zähl‘ nur zwei und zwei zusammen. Ost-Zündhölzer. S-Bahn-Karten. Deine Klamotten stinken nach Kneipe und billigem Parfüm. Ich bin nicht von gestern, verstehste. Du kannst ja rum machen, mit wem Du willst – juckt mich nicht. Aber wenn ich mich jetzt freuen will, wirste mich nicht abhalten. Pass auf Viola auf. Brauchst nicht auf mich warten heute.“

 

Das ist ja nun wirklich nebensächlich. Natürlich wartet Eddy nicht. Er schläft ordentlich – aber wenn er morgens aufwacht, bedrückt ihn, dass er im Westen fest hängt. Er würde gerne in die Frankfurter Allee fahren und mit Mandy die Zukunft planen.

Nun, das muss warten. Spätestens am Donnerstag sieht man sich. Vielleicht ist es zum letzten Mal dieser Donnerstagstermin. Eddy stellt sich vor, wie das sein wird, wenn man zusammen lebt. Lang ist da nicht mehr hin.

Charly ruft an. Eddy erzählt ihm die Geschichte. Alles. Das Kennenlernen auf der Messe. Die Donnerstage. Das Gefühl einer großen unerwarteten Liebe. Die Freude auf das, was kommt.

Charly ist baff. Er hat geahnt, dass da etwas mit einer Frau am Laufen ist. Aber mit einer aus der DDR? Das ist undenkbar gewesen. Und dass Eddy die Geschichte so lange für sich behalten konnte.

„Sag‘ mal, die ganzen Geschichten von wegen Ost-Business und tolle Kontakte – das hat alles nicht gestimmt?“

Doch, widerspricht Eddy. Sie haben ja eine Menge Geschäfte einfädeln können. Und da war Mandy manchmal echt hilfreich. „Du glaubst ja gar nicht, wen die wegen ihrer Arbeit kennt.“

„Du weißt schon, dass ich wegen der Geschichten im Augenblick ein paar Probleme habe.“

„Nee. Wie meinste das?“

Vor ein paar Wochen hatten wir so komische Fahnder im Haus. Wirtschaftskriminalität, Zollbestimmungen, so ein Scheiß. Die haben ‘ne Menge Akten mitgenommen. Wollen sich wieder melden.“

„Was haben die genau gesucht?“

„Kann ich nicht sagen, ich blick‘ da auch nicht durch. Naja, wird schon gutgehn.“

 

Am Montagabend ist die Frau wieder da. Wenn er sich nicht täuscht, lächelt sie. Soll sie. Vielleicht hat sie einen gefunden, der sie durchgefickt hat. Aber wer will so eine fette Schlampe schon vögeln? Vielleicht ein ausgehungerter DDR-Macker, der glaubt, im Westen können’s die Frauen besser.

Wie auch immer – bald ist Donnerstag.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.