GOETHE IN TOWN

17. april 2017            ———-            DER NEUE, Tag 88

Weimar/Washington

 

Vor Johann Sebastian Bachs Wohnhaus – das quetscht sich in Weimars Altstadt – regnet es, weiter oben in der Belvedere-Allee fallen nasse Schneeflocken. Und auf der Höhe, vor dem Schloss, wird das Gras weiß.

Tolles Osterfest! Von wegen “vom Eise befreit” und der ganze Schmonzes!

Die Fenster des Belvedere-Hauptgebäudes und die großen Torbögen rechts und links sind schwarze Schlunde, haben alles Leben geschluckt. Hier sind der Goethe und seine Schar unterwegs gewesen zu den Land-Wirtschaften, zu den Gütern vor der Stadt, zu ihren ausgedehnten Osterspaziergängen.

Im Süden rauscht die Autobahn, Weimar unten in der Ebene wacht auf. Im Schloss rührt sich noch kein Leben. Kein Ort zu verweilen.

Weiter, würde Goethe, das coole ADS-Genie, sagen. Weiter und weg von hier!

Zurück durch den Schnee in den Park an der Ilm. Goethe hatte hier sein Gartenhaus. An einem 17. Mai, an dem des Jahres 1776, schrieb der Karrierist aus seinem soeben bezogenen Gartenhaus nach der ersten Nacht an Auguste von Stolberg: „Alles ist so still. Ich höre nur meine Uhr tacken, und den Wind und das Wehr, von ferne, gute Nacht. Sonntag früh Guten Morgen! Ein trüber aber herrlicher Tag. Ich habe lang geschlafen, wachte aber gegen vier auf, wie schön war das grün dem Auge das sich halbtrunken auftat. Da schlief ich wieder ein.“

Ja, da hat er es schön gehabt in seinem Haus im Park. Da ist er angekommen gewesen im Bel Air von Weimar. Die Steine seiner Mineralien-Sammlung hat er in die Schubladen getan und säuberlich beschriftet. Über die Farben sinniert hat er, über den Faust, den Wilhelm Meister, das nächste Gedicht, die nächste Widmung. Und die römischen Göttinnen spiegelten sich weiß-marmorn in blankem Spiegelglas.

„Universalgenie“ nennen sie ihn heute unten in der Stadt und machen Geld damit. Wer will, kann sich zum Beispiel eine Mütze mit der Aufschrift „Des Pudels Kern“ à 25 Euronen kaufen. Sonderlich warm hält das Teil nicht, aber man hat wenigstens ein bisschen Goethe an der Birne.

Der Meister selbst ist aber nicht nur ein großer Dichter und Denker gewesen. Er hat auch der Nachwelt (Trump lässt danken) vorgemacht, wie Mega-Karriere geht.

Du musst netzwerken wie der Teufel. Herr Goethe trieb es mit den Freimaurern und den Illuminaten, er war Multifunktionär, saß in jedem Aufsichtsrat, drängte sich auf jeden erreichbaren Ministersessel. Goethe betrieb eine Art züchtigen Swinger-Club mit „Entscheidern“ und Grandes Dames der Region. Goethe versammelte die Intelligenzija aus deutschen Landen und entschied in einem Vorläufer des „Apprentice“-Formats, wer geheuert und wer gefeuert wurde. Wer dem Goethe nicht passte, wurde wieder der Residenzstadt verwiesen.

Du musst der maître de communication sein. Mit dem Oberboss, dem Herzog Carl August, war er echt dicke – da passte kein Blatt Papier dazwischen. „Er saß ganze Abende bei mir in tiefen Gesprächen über Gegenstände der Kunst und Natur und was sonst allerlei Gutes vorkam.“

Naja, untertreiben’Se mal nich, Meister. Aus den „tiefen Gesprächen“ sind regelmäßig tierische Gelage geworden – Goethes Gegner haben das Gerücht in die Welt gesetzt, der dichte Dichter würde den herzoglichen Saufkumpan um die Gesundheit pokulieren.

Und der Mann aus dem Gartenhaus im Ilmpark war ein Vorreiter der Twitter-Kings. Zwar behauptet Donald Trump von sich, ihm könne es in der Kunst der Kurznachrichten-Kreationen keiner gleichtun. Aber das ist grottenfalsch. Der Goethe hat sich – nebst inhaltlich anspruchsvollen Briefschaften – auch derb kurz fassen können.

Beispiel: Regelmäßig hat der Geheimrat auf ein Billet gekritzelt, er esse nun eine Birne, dann gedenke er ein Theaterstück zu texten, abends freilich würde er sich gerne auf einen Humpen treffen. Das Billet trug ein eilfertiger Bediensteter in die Stadt und steckte es dem Schiller zu. Der tunkte die Feder in die Tinte und repondierte, ein Humpen am Abend sei eine echt geile Idee. Er werde schnell noch über die Ästhetik in der Dichterei nachdenken, dann werde er ins Casual-Friday-Wams schlüpfen, und man könne sich einen zünftigen Abend machen.

Das Billet hat der Goethe-Lakai dem Herrn vorgelegt. Gut, nickte der und heftete es für die Nachwelt ab. Und wir finden solcherlei „Briefwechsel“ ähnlich bemerkenswert wie die Trump’schen 140-Zeichen-Aphorismen.

Tja, und er konnte den Hals nicht voll genug kriegen, der Fürst der Wörter. Wein, Weiber, Wirtschaftswunder – der Mann hat’s drauf gehabt.

Nun, an diesem versauten Osterwochenende 2017, geistert Goethe durch Weimars klamme Gassen und sieht gelassen aufs Schalten und Walten in der Welt.

Was hat man hier nicht alles kommen und gehen sehen? Sogar der Hitler war über 40mal in der Stadt. Als er wieder mal im „Elephanten“ logierte, versammelten sich begeisterte Thüringer auf dem Platz und skandierten: „Lieber Führer komm heraus, aus dem Elefantenhaus. Lieber Führer sei so nett, tritt zu uns ans Fensterbrett.“

Er hat sich gezeigt, der Führer. Hat ihm letztendlich auch nichts genützt.

Alle haben sich im Fenster des „Elephanten“ angucken lassen, der Honeckers und der Kaiser und 1988 sogar der Helmut Kohl.

Sie alle hat Johann Wolfgang von Goethes Geist überdauert. Der nächste, den er aus dem Rennen um die Weimar-Herrschaft fegen wird, ist wohl dieser dolle Donald.

Könnte natürlich sein, dass es dem völlig egal ist. Ist ja nicht mal gesichert, dass der weiß, who the fuck this mister Goethe is. Spielt der bei Bayern?