FEIGLING

sommer zwanzichfuffzehn XXXXI

“Du machst vielleicht Sachen!”

Papa Jupp hatte seinen Spaß. Was hatte Hans Krohn zu Beginn des Sommers große Töne gespuckt! Er würde zu sich selbst finden. Eine Auszeit nehmen, um wieder mit sich ins Reine zu kommen.

Und was hat er gemacht, der dumme Junge?

Sich verliebt – ist schon blöd genug.

Sich bei der Selbstfindung verloren – das kannte man von Hans.

Sich sein eigenes Drama inszeniert – auch das war nicht neu.

“Was willste jetzt machen?”

Krohn saß auf dem Bettrand und fand das Hotel-Vögel-Zimmer abgewohnt und beklemmend. Er dachte kurz nach, dann sagte er: “Erstmal mache ich hier die Biege.”

Papa Jupp lachte. Werde auch Zeit. Außerdem liege das Schlauchboot noch am Steg vor seinem Haus am See. “Ist ja nicht weit. Mein Gärtner ist da, der macht Dir auf, oder hast Du noch einen Schlüssel?”

“Nee, hab’ ich nicht. Aber ich glaube, ich bleibe nicht lange. Ich werde gleich los fahren. Jetzt ziehe ich das mit der Ostsee durch.”

Ob er sich das wirklich antun wolle? Da runter schippern, auf einem Schlauchboot? Jupp hatte sich kundig gemacht, das sei nicht ganz ohne, hatten ihm Freunde gesagt, die sich auf dem Wasser auskennen. “Und Du hast doch keine Ahnung.”

“Nee, aber vielleicht tut es mir gut. Da komme ich auf andere Gedanken.”

Wenn Hans meine, dann solle er es machen. Papa Jupp erklärte noch, was er aus den Kühlschränken mit nehmen solle. “Und wennde am Meer bist, rufte an. Ich wollte schon lange mal wieder an die Ostsee, ich hole Dich dann, wenn Du willst.”

Danke. Hans Krohn drückte die Austaste des Handys. Er packte eilig, stopfte alles, was ihm gehörte, in den Rucksack. Er sah sich im Zimmer um. In den Wäscheregalen lagen noch, sauber gefaltet Pullover und T-Shirts, zwei Slips mit Spitze, ein türkisfarbener BH, Strümpfe, ein paar Jeans. Im Bad standen Sabrinas Sachen auf dem Spiegelbord. Ein Buch (“achtsamkeit – mitten im Leben”) auf dem Nachtkästchen. Im Papierkorb die leeren Weinflaschen und eine stinkende 200-Gramm-Dose Heringsfilets in Tomatensoße.

Okay. Hans Krohn verließ das Zimmer.

Er zahlte, inklusive des angebrochenen Tages – Sabrina würde in aller Ruhe ausziehen können. Die Straßen von Neuruppin kamen ihm geschunden und ungastlich vor. Die Bänke, auf denen er mit Sabrina gesessen hatte, waren staubig und voller Blätter. Krohn hatte Kopfweh und keinen Spaß am Gehen. Er kam zu Papa Jupps Villa, der Gärtner redete viel, Krohn bekam nichts mit.

Er verstaute den Schlafsack und das Gepäck im Schlauchboot. Schüttete Benzin in den Motor, fuhr noch einmal zur Tanke und füllte den Kanister nach. Bei der Gelegenheit besorgte er sich eine Tüte “Elephants”.

“Wollen Sie nicht noch eine Nacht hier schlafen?”, fragte der Gärtner. “Ist ja gar nicht mehr so lange hell – das lohnt doch gar nicht, jetzt weg zu fahren.”

Krohn murmelte Unverständliches und stieg ein. Er zog am Starterseil, der Motor bullerte, Krohn setzte sich auf die Bank, drehte am Gasgriff und verließ in sanfter Kurve den Steg. Er querte den See und lenkte sein Boot in den Kanal, der ihn nach Süden brachte.

Der Fahrtwind und die Konzentration lüfteten ihn aus. Nach einer Stunde fühlte sich Krohn freier. Er stellte den Moto ab. Das Boot trieb in der Mitte des schmalen Kanals, links und rechts verwehrte Schilf einen weiten Blick. Krohn landete an, vertäute sich an einer krüppligen Weide, legte sich auf den Rücken und schaute in den Himmel.

Die Wolken sausten flott von West nach Ost. Dem Mann im Boot wurde auf angenehme Art schwindlig. Weißgraue quellende Trüffel-Wolken. Blauer Himmel. Eine freundliche Sonne.

Krohn streckte sich wohlig. Es war gut hier. Sicher, er hätte jetzt gerne Sabrina im Arm gehabt – aber dann auch wieder nicht. Er war mit sich unterwegs, das mochte er. Da gab es ein kleines schlechtes Gewissen, aber damit würde er leben können.

Hans Krohn griff in die Tüte. Er fühlte sieben Dosen “Elephants”, das war beruhigend. Er prüfte den Knoten am Baum, der würde halten. Hans Krohn öffnete die Dose und trank sie halb leer. Die Tüte mit dem übrigen Bier ließ er an einer Schnur vom Bootsrand ins Wasser gleiten. “Elephants” schmecken gut gekühlt am besten.

Salami. Vollkornbrot. Bier. Eine Flasche Rotwein war auch noch im Rucksack. Klassik aus dem Radio. Es wurde Nacht. Halbmond.

Bruckner.

Das Schlauchboot schaukelte sacht, wenn Krohn über Bord pisste. Er war sehr betrunken. Kurz überlegte er, ob er zurück fahren und Sabrina suchen wolle. Er schaltete das Handy ein und wieder aus.

Mahler.

Viel einsamer konnte es nicht kommen.

Dachte er und tat sich sehr leid, als er sich in den Schlafsack wickelte.