EISZEIT

31. januar 2017, washington, -5 grad, bewölkt, mieming (tirol), 2 grad, ein wenig regen       —-    winter 16/17, Folge 22

 

Fired! Donald Trump mag seine Justizministerin Sally Yates nicht mehr. Wegen „Verrats“ in Sachen Einwanderungs-Erlass  greift der Präsident durch. Frau Yates ist raus.

 

Wo kalt der Wildbach rauscht.

 

Max tätschelt der „Josefa“ den Hintern. Sie blickt ihn aus ihren großen Kuh-Augen an und versteht:

Der Bauer macht sich Gedanken.

Bedächtig gabelt er ihr noch eine Extraportion Heu in die Raufe. Max lehnt die Forke an die Stallwand, schlüpft aus den Stiefeln, wechselt in die Pantinen und schlurft durch den Gang in die Küche. Er knipst die Lampe über dem Esstisch an, schaltet den Radioapparat ein, gießt Wasser in die Kaffeemaschine.

Das ist ihm der liebste Moment des Tages. Außer dem Hund und dem Vieh schläft alles im Haus – die Frau, die Kinder, die Gäste. Er greift zur Zeitung, mischt viel Milch in den Kaffee, drei Löffel Zucker nimmt er, schneidet einen Kanten Brot vom Leib.

Während er die Lokalnachrichten studiert, stippt er das Brot in den Milchkaffee, bis es sich voll gesogen hat. Das sind die Augenblicke, in denen Max mit sich im Reinen ist.

Heute aber wird er diese Unruhe nicht los. Er sieht hinaus ins sich lichtende Nachtschwarz. Die Straße vor dem Haus schimmert – der leichte Regen ist auf dem Asphalt gefroren, nun könnte man da draußen Schlittschuh laufen.

Im Radio erzählt ein verteufelt munterer Moderator, der Trump habe seine Justizministerin entlassen. Jetzt seien auch schon Muslim-Kinder in Handschellen gelegt worden, und der Sprecher des Präsidenten finde das völlig okay. Im Parlament in Wien bahne sich großer Streit an – Kanzler Kern hat gesagt, da werde gerade eine „Lunte am Pulverfass“ angezündet, und dann implodiere die Republik. Auf den österreichischen Straßen herrsche das Blitzeis-Chaos. Heute sei der letzte Jänner-Tag – morgen brauche man neue Vignetten, also Obacht, die Polizei verteile Strafen…

Max schaltet aus. Er sieht in den Milchkaffee und vergisst Essen und Trinken. Schritte trappen die Treppe herunter. Die Frau, noch im Morgenmantel, kommt durch die Tür, küsst ihn auf die Stirn. Sie sieht ihren Mann an und fragt, ob ihm was fehle.

„Ach, es ist nix. Ein blöder Tag, irgendwie.“

Sie kennt ihren Mann. Lässt ihn erzählen. Von der Vignette und dem Kanzler und dem Pulverfass und dem Präsidenten da drüben in der Neuen Welt.

„Weißt was“, sagt die Frau. „Den Stall hast gemacht, um die Kinder und die Gäste kümmer‘ ich mich. Du gehst jetzt erst einmal mit dem Hund ‘naus in den Wald. Die Luft tut Dir gut.“

Max ist ihr dankbar. Er steigt in die Bergstiefel, greift sich Leine, Anorak und Mütze. Ruft den Hund. Der freut sich narrisch.

Nach ein paar Minuten haben sie das Dorf hinter sich. Nun stapft Max in einer festgetretenen Spur in den Wald hinauf.

Der Hund furcht mit der Schnauze durch den nassen Schnee, Max hat einen strammen Schritt gefunden, der ihn außer Atem bringt und so anstrengt, dass er nicht viel zum Denken kommt.

Sie queren den Wildbach, erreichen die ersten Felsen. Hier wird der Steig schmal und sehr steil. Immer wieder nimmt Max die Hände beim Steigen zuhilfe. Er ist schnell unterwegs, es tut gut, wenn die Beine schmerzen und es in der Lunge pfeift. Es tut gut, klitschnass geschwitzt zu sein.

Es tut gut, oben um eine Ecke zu biegen und zu erschrecken, weil hier die Landschaft so jäh wird.

Den „Gachen Blick“ heißt man es hier oben. Das ist ein Blick ins scheinbar Bodenlose.

Kurz stemmt Max die Hände auf die Oberschenkel und sieht sich um. Felswände, die im milchigen Grau verschwinden. Kiefern, an deren Nadeln sich Eiszapfen eingehakt haben. Der Weg von unten, notdürftig gespurt und riskant.

Max beginnt den Abstieg.

 

Rauf geht’s immer – runter ist’s schlimmer.

 

Das böse Wetter ist über Nacht aus dem Westen gekommen. Es hat dem Land alles Heitere genommen.

Max verhedert sich an einer Wurzel unterm Schnee. Er strauchelt, stürzt, rutscht in die Flanke hinunter, hält sich an einer Kiefer fest. Er zieht sich hoch, der Hund sieht ihm interessiert zu.

Max setzt den Abstieg fort. Scheiße, denkt er, da ist was mit dem großen Zeh rechts. Der tut weh. Könnte sein, dass der gebrochen ist. Wäre nicht das erste Mal. Den hat er vor Jahren beim Fußball kaputt gemacht, seither heilt er nicht mehr so recht zusammen.

Es ist unangenehm. Aber gleichzeitig ist es auch okay. Max erreicht den breiten Forstweg. Jetzt ist es ein sauberes Marschieren. Er kann schon die Morgengeräusche aus dem Tal hören.

Eine Stunde später biegen Max und sein Hund auf die Teerstraße ein. Jetzt müssen sie nur noch an dem wunderschönen Hotel vorbei, dann sind sie daheim.

Der Postwagen hängt im Straßengraben fest. Ist auf dem Blitzeis einfach nicht mehr zum Stehen gekommen. Ob er helfen könne, fragt Max. Nein, sagt der Postler aus Telfs, er hat schon um Hilfe telefoniert.

 

Der Herr Doktor wird’s richten.

 

Max kommt am Hotel vorbei. Da hat es auch einen Unfall gegeben. Zwei Wagen einer Filmcrew haben sich ineinander verkeilt.

Selber blöd, die Affen, wenn sie an so einem Tag ins Gebirge fahren.

Am Stand der Caterer steht der Filmstar und trinkt einen Kaffee. Den kennt man, das ist der Hans Sigl, der „Bergdoktor“. Der schaut braun gebrannt und froh aus. Der schaut so aus, als ob alles in Ordnung sei.

Max fragt einen Hausl vom Hotel, was die denn da drehen.

„Ach“, sagt der alte Mann, „allweil der gleiche Krampf. Irgendwas mit ,Liebe auf Umwegen‘. Im Dezember sehen wir’s eh im Fernsehen.“

Na, dann ist’s ja gut. Wenn der „Bergdoktor“ seine Liebe erst im Dezember erlebt, dann wird die Welt schon nicht untergehen.

Morgen: Früher