EIN GUTER SOHN

sommer zwanzichfuffzehn VII

Eugen trank und redete. Redete und trank. Er war ein routinierter Säufer. Einer, der nicht die Kontrolle verlor. Aber er nahm es hin, dass ihn die Bosheit und die Wut fluteten.  Wellen des Zorns schlugen über ihm zusammen. Zorn über die Ungerechtigkeit. Zorn über die Geburt am falschen Ort. Über den Diebstahl jeder Heimat. Über seine Eltern, auf die er nicht zornig sein durfte.

Der alte Freund des zornigen Mannes schlief sich durch seinen Rausch, und manchmal war sein Gesicht mit der Welt im Reinen. Was für ein gezeichneter Mensch!

Trinken. Reden. Reden. Reden. Den Ton nicht wechseln. Die Wörter kommen stet und unaufhaltsam. Es gibt keinen Punkt und kein Komma in diesem Reden. Keine Wichtigkeit, keine Nebensache. Das ist ein Monolog wie eine Gehirnwäsche.

“Das war nicht zum Lachen, mein Freund. Was wir gespielt haben, als Kinder? Wir haben nicht viel gespielt, wir waren doch nur die Schrazen von Aussiedlern, die nicht genug zum Fressen hatten. Einer von den Jungs hatte einen Igelit-Ball, dem haben wir schön getan, dann konnten wir Völkerball spielen. Dafür ist er immer zuerst gewählt worden. Dabei war er dumm wie ein Karpfen.

Eigentlich war ich nicht scharf auf Völkerball. Die anderen Kinder sind mir auch am Arsch vorbei gegangen. Aber was sollte man schon machen, hier draußen? Es war langweilig hier. Zum See durften wir nicht – wenn wir da erwischt worden sind, haben wir ordentlich Senge gekriegt. Meine Geschwister haben mich nicht für voll genommen, ich war denen doch viel zu klein. Also habe ich mich schon früh mit irgendeinem kaputten Teil verdrückt und repariert. Ich habe alles gemocht, was mit Technik zu tun hatte. Am Anfang waren es die Landmaschinen. Dann stand da in einer Ecke des Maschinenschuppens ein altes Moped. Ich habe es nie ins Fahren gekriegt, aber ich habe alles auseinander genommen, was ging.

Und als ich dann mein eigenes Moped kriegte, wusste ich Bescheid.

Eine 50er Java war das. Drei Gänge. Kickstarter. Rostfarben. Der Vater hat sie mir geschenkt, weil ich einen ganzen Sommer den Hof gemacht hatte.

Ja, so konnte der Vater auch sein. Ist eines Tages verschwunden. Und als er wieder kam, hatte er die Java dabei. Hat nicht viel gesagt. ,Da! Machse nich gleich kaputt!’ Das war’s.

Der Vater war ein sturer Knochen. Ich weiß nicht, ob das immer so gewesen ist. Ich habe ihn jedenfalls nur so erlebt. Bevor der ein Wort gesagt hat, konntest Du den Mond verschieben. Morgens ist er wortlos in den Stall – und wenn Du nicht gespurt hast beim Helfen, hat er Dir mit der Handkante den Hinterkopf rasiert. Das konnte übel weh tun. Beim Frühstück hat er nicht geredet, wir durften auch nichts sagen. Nur die Mutter, die hat sich nicht um die ganze Schweigsamkeit gekümmert. Sie hat wie so ein Offizier eine Ansprache gehalten, was jeder den ganzen Tag zu tun hatte. Die Mutter hatte immer irgendwelche Geschäfte am Laufen, einen Tag ohne Arbeit gab es bei ihr nicht.

Ich habe nicht oft erlebt, dass die Beiden miteinander geredet hätten. Vater war bei Leipzig, als wir den Krieg verloren haben. Er hat sich nach Brandenburg durchgeschlagen und Arbeit auf dem Hof gefunden. Bald haben sie gemerkt, dass er sich auskennt und ihn zum Chef gemacht. Da hat er meiner Mutter geschrieben, dass sie mit dem Großvater und den beiden Kindern nachkommen soll. In Elbing hatten sie ein Bürgerhaus und gehörten zur besseren Gesellschaft.

Hier waren wir nix.

Wenn ich konnte, habe ich mich aus allem raus gehalten. Ich war mager und habe das Maul gehalten. Ich musste mich nicht mit jemandem schlagen, wenn es Ärger gab. Sowas habe ich anders geregelt.

Nach zehn Jahren war ich mit der Schule fertig. Die Lehrer haben gesagt, ich soll einen technischen Beruf anfangen, das war mein Ding.

Aber der Vater wollte das nicht hören. ,Du bleibst auf dem Hof’, sagte er. Ich habe widersprochen, und er hat mir eine verpasst. Ich hatte keine Chance, ich musste ein Bauer werden.

Noch einmal habe ich aufgemuckt, damals suchte man einen Mechaniker im Nachbarort und hätte mich auch genommen. Dabei hatte ich das gar nicht gelernt. Aber die Leute wussten, dass ich alles reparieren konnte. Also haben sie mir die Stelle angeboten.

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Ich bin nach Hause und habe es erzählt. Da hat der Vater die Hose ausgezogen, das Holzbein abgenommen und auf den Stummel gezeigt. ,Du Rotzlöffel’, hat er gefragt, ,und was ist damit?’

Also bin ich geblieben.”

16.juli 2015