EHRENWÖRTER

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll. Es beginnt am 9. März 2019. Da sind’s noch 22 Wochen.

13. März, Sonne und Wolken, vor dem nächsten Sturm.

Eben noch hat er im Radio gehört, dass in Hessen die Evangelischen seit ein paar Tagen eifrig fasten – dieses Jahr haben sie sich Besonderes vorgenommen. “Mal ehrlich!” beschwören sie sich, 2019 bleibe man “sieben Wochen ohne”.

Ohne Lügen.

Er hat das Radio ausgemacht und ist ins Café in Unterschleissheim marschiert. Nicht schlecht, hat er sich gedacht, das stünde ihm wohl auch nicht schlecht an:

Nicht lügen! Ohne Kompromiss. Hört sich klasse an.

Mach’ ich, dachte er.

Betritt das Café. Sieht am Fenster eine Bekannte, setzt sich zu ihr. Sie meint lächelnd, naja, ihm scheine es ja wohl blendend zu gehen, so braun gebrannt, wie er sei. Er habe wohl Urlaub gehabt, Malediven oder Seychellen. Mindestens.

Er grient geschmeichelt. “Schaust auch gut aus”, sagt er.

Gelogen. Sie hat seit dem letzten Mal mächtig abgebaut. Gelb ist sie im Gesicht – wenn ihn nicht alles täuscht, hat sie ein Verhältnis mit dem Alkohol.

“Danke”, sagt sie. Weil man sich so selten trifft, bestellt man ein Frühschoppen-Weißbier und kommt sich näher. Zuerst hat man’s mit der Politik, danach mit dem Beruflichen, man macht sich über das Erstarken der Bayern-Fußballer Gedanken, man hakt das Wetter ab.

Noch eine Runde Weißbier. Nun wird es gemütlich. Ihre Glas zittert beim Anstoßen.

“Und?” fragt sie. “Persönlich – alles gut?”

“Alles super.”

Gelogen.

Das Gleiche bei ihr. “Man muss halt aufpassen, wo man bleibt.”

Wie sie das meine?

Nun, sie hat in ihrem Leben den großen Kehraus gemacht. Da gibt es eine ehemalige beste Freundin aus Feldmoching, “mit der habe ich gebrochen. Du glaubst nicht, was für eine falsche Schlange das ist. Und meine andere Freundin – weißt eh, die ist Verkäuferin beim Rossmann – hat auch das Kraut ausgeschüttet. Man glaubt ja gar nicht, was die Leut’ lügen können.”

Er nickt. Die Rossmann-Frau kennt er gut, die tut niemandem was zuleide. Ein bisschen einfältig ist sie – aber ausgesprochen gutmütig. Ein freundliches Kuh-Weib.

“Hint’ und vorn ist sie falsch. Naja, ist jetzt auch schon wurscht. Man redet nicht mehr miteinander.”

Sie braucht diese Nattern nicht, sagt sie. Sie habe ihre Freundinnen überall – daheim in Sachsen, in Frankfurt, auf Facebook. Die Rossmann-Trutschel braucht sich gar nicht groß tun, die wird schon noch sehen, wohin sie kommt mit ihrem blöden Gequatsche.

“Weißt Du, was die zu mir gesagt hat? Man kann mir nicht trauen, hat sie gesagt. Ich bin immer hinten rum und richte die Leute aus. Was die sich einbildet! Ich und die Leute ausrichten!”

Prost. Ein wütendes Prost!

“Auf so wen kann ich verzichten. Brauche ich doch nicht. Ich könnt’ sie anzeigen. Wegen Rufschädigung oder so.”

Wie es ihren Kindern geht? Wo studieren die noch einmal?

“Ach, die! Die sind auch nicht besser. Will gar nichts wissen von denen. Sollen studieren, was sie wollen. Stecken mit ihrem Vater unter einer Decke und kümmern sich einen Dreck um die Mutter. Geh’ mir weg mit denen!”

So ist das also. Er greift verhalten zum Glas.

“Prost” sagt sie. “Schön, dass der Sturm aufgehört hat. Jetzt wird’s Frühling. Auf uns!”

Gelogen.