DROGEN

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Alles ist ausgepackt, Sabrina setzt sich an den Küchentisch. Ob er auch einen wolle, fragt sie, als sie einen Apfel aus der Obstschale fischt. Krohn mag nicht. Er sieht ihr beim Essen zu. Sie schneidet mit einem kleinen Messer mit grünem Griff mundgerechte Schnitze aus dem Apfel – er changiert zwischen hellem Gelb uns sommersprossigem Rot – und steckt sie langsam in den Mund.

Krohn fallen laszive Sachen ein.

Er sieht sie gern an. Vor Kurzem war sie beim Friseur, der das Haar auf eine schicke Länge getrimmt hat. Jetzt schaut Sabrina aus wie eine exotische Tänzerin aus den goldenen Zwanzigern. Sie könnte mit der Baker im Bananenröckchen befreundet sein. Hat einen dunklen Lippenstift aufgelegt, sieht ein klein wenig verrucht aus.

Große, dunkle, sich freuende Augen. Kleine sanfte Hände. Runder Körper. Sabrina riecht gut, nach ihrem Parfum, nach Halsbeuge, nach Haar an der Wurzel und nach Apfel.

„Ich geh in den Garten“, sagt sie.

Hans Krohn nickt. Dann schüttelt er leicht den Kopf. Ob das sein müsse. Wäre es nicht besser, sie würde sich schonen?

„Warum?“

Du wirst operiert – Du musst in Form sein. Brauchst Dich doch nicht anzustrengen. Der Garten läuft nicht weg.“

Das sei keine Anstrengung, erklärt sie. Das bringe sie auf gute Gedanken. „Ich werde jetzt nicht Daumen drehen und warten, biss sie mich aufschneiden. Nein, das mache ich nicht.“

Krohn schnauft. Er weiß, dass es keinen Sinn macht, sie überzeugen zu wollen. Sabrina ist ein verteufelter Dickkopf. Wenn sie in den Garten will, geht sie in den Garten, basta!

„Weißt was? Ich komme mit. Muss eh noch die Zwiebeln stecken.“

„Du machst überhaupt nix! Du bist krank, Hans. Am besten legst Du Dich hin. Scheisse siehst Du aus. Brauchst Du eine Ibu?“

Sie probiert es immer wieder: ihm irgendwelche Schmerzmittel einzureden. Er mag das nicht, er wird das alles schon aushalten. Sabrina ist da anders. Eine geborene „Drogistin“ sei sie, sagt sie gerne. Als sie ins Moos-Haus eingezogen ist, füllte sie im Bad eine Schublade mit Pillenschachteln und Ampullen, mit Muskelgels und Augentropfen, mit Relaxantien und Aufmunterern, mit „Hämmern“ und Homöopatischem. Dazu die Palette von Kügelchen für alle Lebenslagen, die Verbände und Notfalltäschchen und -reiseköfferchen.

Sabrina ist für alle Situationen gerüstet. Und sie lässt sich vom Körper nichts gefallen. Es gibt immer eine Tablette gegen irgendwas und für irgendwas.

Diesem Hans Krohn, das weiß sie, muss sie die Tabletten aufzwingen. Der ist ein unverbesserlicher Dummkopf. Keine Ahnung, wie der Kerl so lange überlebt hat. Ahnungs- und tablettenlos stolpert er durchs Leben.

Naja, jetzt hat er ja sie.

Eifrig hat sie sich auf die Therapie seiner Prostata-Geschichte gestürzt. Er ist ja fast hilflos mit seinem Katheter, kann sich nicht gut wehren, wenn sie ihm ein Schmerzmittel hinlegt. Ihm tut die Sache so weh, dass er irgendwann die Pille schluckt. Dann wird alles taub, der Schmerz verschwindet, Hans entspannt sich. Dann fragt Sabrina:

„Ist es besser?“

Hans nickt, Sabrina ist zufrieden. Als hätte sie ein großes Ziel geschafft.

Also gut, er nimmt die Ibu. Legt sich auf die Couch, schaltet den Fernseher ein, wartet. Ihm wird leichter.

„Siehst Du“, sagt sie. „Ich weiß doch, dass es hilft. Ich bin jetzt im Garten“

Die Tür fällt ins Schloss.

Von Weitem hört Krohn die Geräusche. Wie sie Geräte aus dem Schuppen holt. Wie sie Dinge über die Terrasse in den Garten trägt. Das Vogel-Geplärr übertönt jetzt alles. Später klingelt ihr Handy – es ist der Ton eines Telefongeräts aus den Krimis der Schwarzen Serie. Sabrina hebt ab, und Hans hört nach den ersten Sätzen, dass das ein langes Gespräch wird.

Er freut sich. Alles so friedlich, alles so gut.

So könnte es bleiben.