DEUTSCHER HERBST

D 2017*, Folge 3. 20. September. Ruppiner Land zwischen Rheinsberg und Neuruppin.

Die Septembersonne tut ihr Bestes. Aber das Laub ist doch noch dicht genug, ihr den Zutritt zu wehren; ein Dämmer liegt auf den Steigen, und nur nach rechts hin, zwischen den Stämmen hindurch, blitzt es und flimmert es um einen ummauerten Park.

Ich saug das Licht ein, um das Frösteln loszuwerden.

Hagebuttensträucher, kahl und windzerfahren. In diesem friedlichen Augenblick aber hängen die roten Früchte still am Gezweig, und zwischen den Ästen spannen sich Spinneweben aus und schillern in allen Farben des Regenbogens. Hinter dem Buschwerk eine Mauer und hinter der Mauer Gemüsegärten mit Dill und Dolden in langen Reihen, und dann Stoppelfelder, weit, weit und am Horizont ein duftiges Blau und in dem Blau der schwarze Schindelturm einer Dorfkirche.

Der Blick schweift darüber hin, aber immer wieder kehrt er bis in die nächste Nähe zurück und weilt auf einem Rasenteppich, der sich in Falten legt. (Theodor Fontane)

 

 

Es ist kein weiter Gang von Rheinsberg nach der Kreisstadt Neuruppin. Die Wege sind gut ausgeschildert, sie werden gern genutzt. Auch lädt das Wetter zum Wandern. Alsdenn, los!

Im Rücken liegt das Schloss von Rheinsberg, hell leuchtet das Gemäuer. Eine Frau wandelt auf den Kieswegen. Sie ist schlank und hat einen langen Staubmantel an.

Falsches Jahrhundert, Madame!

Hinter Rheinsberg wellt sich das Land ein wenig. Nach den Kahlenbergen kommen die Wälder. Dann ein See, gesäumt von Kiefern und Buchen. Der Ort Braunsberg döst in stiller Harmlosigkeit. Vor einem Haus aus der DDR-Zeit sitzt ein alter Mann, hat auf dem Tisch einen Kaffee und studiert die „Ruppiner Zeitung“.

Da kann er es lesen, das Elend der Abgehängtheit.

Sven Alisch, der SPD-Kandidat zur Bürgermeisterwahl, findet die richtigen Wörter. Er hat wohl nicht beschreiben wollen, wie beschissen es Rheinsberg, den zerstrittenen Kommunalpolitikern, den Arbeitslosen und den Alten – überhaupt der Region – geht. Aber der Versuch, sich im Interview die modernen Zeiten schön zu reden, hört sich irgendwie kläglich an:

„Die Gemeinde ,Stadt Rheinsberg‘ mit allen Ortsteilen soll sich zur landschaftlich schönsten und kulturhistorisch interessantesten Stadt im Norden Brandenburgs, mit Angeboten in den Bereichen Spitzenkultur, Wassersport, Gesundheit, Wellness, Jugendkultur, Kinderangebote, Freizeitwohnen, Seniorenresidenz und Keramiktradition weiterentwickeln. Rheinsberg soll nicht nur liebenswert für Gäste sein, es soll auch ein Ort werden, an dem Menschen aller Altersgruppen gerne wohnen. Deshalb gilt es, das Prädikat Heilbad zu erarbeiten und erreichen!“

Träumen Sie weiter, Herr Kandidat.

 

In Altruppin ist vor einem Monat eine Frau vom Nachbarn umgebracht worden. Man hat den Eingang ihres Hauses mit Gebinden voll gestellt und sich eine Woche lang wohlig gegruselt. Jetzt sind die welken Blumen entsorgt, und in Altruppin ist wieder nichts los.

Hier ist fast immer nichts los.

Bald feiern sie am Rhin Oktoberfest und fühlen sich bayrisch-fidel.

Ansonsten: Aufregend wird es, wenn beim Aldi oder beim Lidl die Sonderangebote wechseln. Gartengeräte und Schulsachen sind sehr beliebt, die neue Klum-Fashion läuft nicht besonders. Ein bisschen zuviel Modewelt.

Tote Hose steht dem Ort besser.

 

Vor der Stadtgrenze von Neuruppin die Kasernen. Die Fenster blind oder in Scherben, die Mauern bröseln, der Stacheldraht rostet.

Ein Bier an der Tanke. Wir sind da.

 

Traben endlich die kahle, staubige Chaussee entlang.

Grau wie die Müllertiere.

Atmen auf, als wir vorm Gasthofe zum Deutschen Hause halten.

Moselwein und Selterwasser.

Lebensgeister. Mut und Kraft.

Erste Promenade

Dem Pflaster der Stadt trotzen. (Theodor Fontane)

 

 

Das „Pflaster der Stadt“ holpert noch an etlichen Stellen. Die Stadt versucht sich zu putzen. Sie versucht anzukommen in der neuen Zeit.

Und?

Klappt’s?

Naja. Sosolala.

*“D 2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.