DER ZETTEL

berlin, 21. januar 2015

Beim Aldi in Ahrensfelde nehmen sich die Kunden Zeit. Es ist ein Werktag, kurz nach eins. Draußen schiebt sich von Westen schweres Gewölk vor den blauen Himmel, es soll Schneefall geben. Die Stadt ist unwirtlich, vor allem in den Außenbezirken. Da halten sich die Menschen am liebsten im Warmen auf. Hauptsache trocken – und wenn’s der Aldi ist.

 

Eine Dame kommt mit einem mäßig gefüllten Einkaufswagen an die Kasse. Sie wird zügig abgefertigt. Nachdem die Waren über den Scanner gezogen worden sind, landen sie wieder in der Karre. Die Dame zahlt, schiebt sich ans Fenster, wo sie den Einkauf träge in einer großen Tasche verstaut.

Die Frau ist vielleicht 40, schwach geschminkt. Jeans, dicker Pullover, schicker Anorak mit Kunstpelz am Hals. Schön war sie mal, doch das Gesicht ist aus den Fugen geraten. Graue Haut, Tränensäcke, gerötete Augen. Sie schaut nicht nach links und rechts, als sie einpackt. Scheint auch den Dialog an der Kasse nicht zu registrieren. Das geht sie schließlich nichts an.

P1000915

Bonjour Tristesse! High Noon in Ahrensfelde. FOTOS: DETLEF VETTEN

 

Eine ältere Weißhaarige knufft ihrem Mann in die Seiten. Ob er nicht etwas fragen wolle? Nein, will er nicht. Na gut, dann tut sie es eben.

“Sagen Sie mal, junge Frau, wo sind denn alle Leute?“

“Wie bitte?” Die Kassiererin, gar nicht mehr so jung, ist irritiert.

“Naja, gucken’Se mal, der Parkplatz is voll – und hier din is nischt los. Das ist doch der Parkplatz vom Aldi, oder?”

“Ja, das ist der Kundenparkplatz.”

“Na, sehen’Se. Und wo sin se jetzt, die Kunden?”

“Ich glaube, das sind gar nicht die Autos von Kunden.”

“Genau! Wissen’Se, was ich Ihnen sage? Das sind die ganzen Ausländer, die da zugezogen sind. Die dürfen da gar nicht parken. Das muss man melden. Sonst tun die das immer wieder.”

Die Kassiererin hat alle Waren durchgezogen. “Macht fünfzehndreißig”, sagt sie, der Mann zupft die Kundin am Mantel. Die zückt seufzend das Portemonnaie, zahlt und murmelt dann: “So wird das nix mehr hier.”

Die Dame am Fenster blickt nicht auf. Sie verstaut nun sorgfältig drei Flaschen Wein in der Tasche. So, dass sie nicht aneinander stoßen und auf dem Heimweg nicht klimpern.

Sie geht. Liegen bleibt der Einkaufszettel. Notiert sind Dinge zum Überleben. Milch, Tomaten und sowas. Zum Schluss, nach einem Zögern, wurde auch noch Baguette hinzu gefügt. Man will es sich schließlich schön machen: ein bisschen Stangenbrot mit Camembert, wie im Bistro in Paris…

P1000913

Al di schönen Waren…

 

Nicht auf dem Zettel steht der Wein. Den braucht sie nicht extra aufzuschreiben. Das will sie gar nicht schwarz auf weiß sehen.

Sie weiß es ja selber: So wird das nix mehr hier.