BRENNERSTRASSE

kapitel 1., berlin, 21.6., schweres grau, es soll sommer werden.

 

War vielleicht doch nicht die beste Idee:

Den Sommer auf Falladas Spuren zu beginnen.

Überhaupt: dieses Fallada-Projekt!

Hans Krohn ist sich nicht mehr sicher.

Er hat den Verleger um einen Vorschuss angebettelt. Überzeugt ist Hans Krohn von dem Vorhaben gewesen. Also hat er sich wegen des Geldes ziemlich ins Zeug gelegt.

Der Vorschuss wird ihm über den Sommer helfen. Mitte September muss er liefern. Bis dahin hat er Ruhe. Dann muss das Manuskript fertig sein.

„Falladas Ende“.

Er hat es in den Verleger hinein gesungen: Der Fallada ist ‘47 jämmerlich gestorben. Jahrestag, hören Sie, Jahrestag, da kann man was machen. Toller Aufhänger, hat Krohn geschwärmt. Eine biographische Reportage über das letzte Aufbäumen des großen Morphinisten und Schreibe-Wüterichs. Ein Stück über die kranke Beziehung des Künstlers mit seiner süchtigen Muse. Sittengemälde des Nachkriegs. Porträt des toten Berlin. Suche nach Falladas Suchen.

Hmm!, hatte der Verleger gemeint. Sie hatten gefeilscht, man hatte einen Vertrag gemacht, seit drei Monaten gibt’s Geld.

Noch nichts geschrieben.

Also, hat Krohn gedacht, jetzt muss er mal anfangen. Es ist Sommeranfang, da wird er vor Ort mit dem Buch beginnen.

Basis-Recherche.

Er ist nach Pankow gefahren. Stechende Sonne brach durch einen schweren grauen Himmel. Krohn schwitzte ein wenig, als er zum  Rudolf-Ditzen-Weg wanderte.

Bürgervilla. Blick in eine Küche. Kupierter Rasen. Blickdichte Hecken.

Letzte Wohnung Falladas.

Krohn ließ sich treiben. Er passierte die Villa des DDR-Staatsdichters Becher. Saß im Bürgerpark und hatte Schatten. Ging am Rathaus vorbei, die Breite Straße stadteinwärts. Dolomitenstraße. Brennerstraße.

Brennerstraße?

Brennerstraße.

Hans Krohn blickte auf das Schild und hatte Magendrücken.

Brenner!

Da war sie gerade.

Sie. Sabrina.

Gleich hinterm Brenner lebte sie.

Dabei sollte sie bei ihm sein. Oder er bei ihr.

Egal.

Aber sie war hinterm Brenner – und er in Pankow.

Nicht gut.

Er ging ein paar Straßen weiter. Die Beine taten ihm jetzt weh, ihm war unwohl.

Er betrat eine Kneipe. Bestellte ein Bier.

„Ganz schön heiß, wa?“, sagte der Wirt, während er zapfte. Krohn nickte. Er trank auf ex, bestellte noch eins. Kommt sofort, sagte der Wirt. Er blickte kurz zu dem unbekannten Gast und wusste alles.

Seit Monaten hatte Krohn keinen Alkohol getrunken.

Kommt sofort.

Folgt Kapitel 2