SEX

kapitel 2, berlin, 22.6., wolken, es ist heiß, die stadt ächzt.

 

Augen verklebt. Nase verstopft. Atem von gestern. Krohn blinzelt aus den Kissen.

Es ist sein Bett, zumindest das. Das Fenster hat er nicht geöffnet, er trägt die kurze Hose und das T-Shirt von gestern.

Ein wenig Alkohol spürt er noch. Das ist ganz erfreulich, da fällt das Aufstehen nicht so schwer. Krohn überlegt, wie er es heute mit dem Trinken halten wird. Er muss ja nicht gleich noch einen drauf legen, oder?

Scheiß drauf, er wird sich nichts vormachen. Den Tag kriegt er ohne Alk nicht hin. Morgen ist wieder Schluss. Versprochen.

Er müht sich aus dem Bett. Auf dem Weg zum Bad bleibt er vor dem Tisch stehen. Da hat er wohl noch „gearbeitet“. Tut er gern, wenn er besoffen nach Hause kommt. Ist ein Unsinn, weil ihm dann nur Unfug einfällt. Mal suhlt er sich in Selbstmitleid, mal kritzelt er einen großen Zorn aufs Papier.

Was ihm gestern eingefallen ist? Krohn nimmt einen Zettel vom Tisch. Die Schrift ist ja ganz okay.

„Den hab‘ ich seit ewig nicht mehr gesehen. Ich weiß nich, ‘n Jahr oder so. Sonst haste ihn ja beim Ilhan an der Nordbahn getroffen – aber jetzt schon ewig nich.

Das ist ja ‘n ganz Netter gewesen. Hat gern mal ‘nen Kümmel genommen. Hat seine Bierchen beim Ilhan gehabt – dann war er wieder weg.

,Tschüss, bis der Tage.‘ Und weg war er. Weiß nicht mal, wo der gewohnt hat.

Ewig nich gesehen.

Ob der gestorben ist?

Naja, heute Abend is Fußball. Jetzt wird’s ernst.“

Krohn erinnert sich jetzt wieder. Da war er noch gut zu Fuß gewesen. In der Pankower Kneipe hat er begeistert mitgeschrieben, als sich die Leute unterhalten haben. Hätte noch nach Hause fahren können, und alles wäre in Ordnung gewesen.

Aber als der Typ vom Fußball redete, konnte Hans Krohn nicht anders. Er musste runter nach Moabit. Public Viewing in der „Quelle“. Geile Sache.

Er lief in der Kneipe ein und ergatterte einen guten Platz am Tresen. Neben ihm saß der dicke Schauspieler, der regelmäßig hier versackte. Er war gut im Geschäft – seine Auszeit nahm er, wenn er keinen Dreh hatte.

Der Typ konnte saufen, dass einem vom Zusehen übel wurde. Seine Trips zogen sich über Tage hin. In der „Quelle“ bekam er um fünf Uhr morgens Rührei und einen Schlafplatz in der Ecke. Pennte zwei, drei Stunden, dann zog er weiter.

Hans Krohn und der Schauspieler mochten sich. Der Andere nannte ihn den „Hänfling“ und versuchte, ihn zu flottem Trinken zu überreden. Doch das war nicht drin. Krohn konsumierte, so gut er konnte.

So auch gestern. In der Pause des Deutschland-Spiels war er schon bedient. Egal, dass die Löw-Jungs jede Menge Chancen vermasselten. Krohn stand am Tresen, trank und machte unsinnige Notizen.

Irgendwie war da noch was.

Hans Krohn dachte nach. Er erinnerte sich an den johlenden Schauspieler. Und dann daran, dass ihn diese Frau umarmt hatte.

Oder hatte er zugegriffen?

Naja, sei’s drum. Die Deutschen versemmelten eine Chance nach der anderen – und Krohn steckte der Frau die Zunge in den Mund. Sie drückte ihren Leib gegen sein Geschlecht, und er fand sie sehr schön.

Mit ihren Leopardenmuster-Leggins und dem knappen T-Shirt, unter dem die Brustwarzen standen. Mit ihren erregten tiefgründigen Augen.

Jetzt erinnerte sich Krohn genau:

Sie hatte, noch vor dem Schlusspfiff gefragt, ob er mitkommen wolle. Er hatte gezahlt. Sie waren zu ihrer Wohnung gegangen. Sie hatten beieinander gelegen und gespürt, dass ihre Körper ausgehungert waren. Sie waren erfahren und kompromisslos gewesen.

Dann waren die Körper bedient.

Er hatte sich angezogen, sie hatte ihm schweigend zugeschaut.

„Man sieht sich.“

„Ja, man sieht sich.“

Er war zu Fuß durch die Stadt gegangen. Die Nacht war lau, er musste sich im Tiergarten erbrechen. Irgendwie kam er nach Hause. Versuchte, am Tisch noch etwas zu schreiben.

Jetzt sammelt er mit flauem Kopf die Zettel und legt sie in eine Schachtel. Ordnen wird er sie später.

Vielleicht sollte er sich die Zähne putzen.

Oder doch ein Frühstücksbier?

Morgen Kapitel 3