BEZIEHUNGSKISTEN

berlin, 2. februar 2016
Bei der Berlinale stehen sie in diesem Jahr nicht sehr auf romantische Stoffe. Ausnahme: Der Tunesier Mohamed Ben Attia geht mit seinem Debütfilm “Inhebbek Hedi” (“Hedi”) ins Rennen.
Da überlässt der junge Hedi seiner Mutter die Brautwahl, der Bruder macht ihm Vorschriften, und ein paar Tage vor der Hochzeit schickt ihn der Chef auch noch auf Dienstreise. Nur: Was passiert, wenn einer wie Hedi sich dort plötzlich verliebt?
Wie bitte? Liebe? Partnerschaft?
Das ist nun wirklich ein Exotikum auf der der Berlinale-Agenda. Lieber guckt der Jouror einen Thriller oder etwas über Flüchtlinge.
Das mit den Beziehungen ist irgendwie ein bisschen ins Virtuelle abgedriftet.

Adam von Redwitz, Sohn des königlich bayrischen Eisenbahnadjunkts Philipp Anton Emil von Redwitz und seiner Gemahlin Apollonia, möchte’ sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, wie seine Zunft vor die Hunde gegangen ist.
Herr von Redwitz war nämlich einer der ersten professionellen Ehevermittler der Moderne. Dabei hat er sich für den Beruf gar nicht so recht qualifiziert. Seine erste Gattin, Martha Marie Susanne Hildegard Ditter aus Waldheim, hat er exakt vor hundert Jahren geehelicht, sie starb acht Jahre drauf. 1930 der zweite Versuch – nach drei Jahren wurde die Verbindung mit der neunzehn Jahre jüngeren Magdalena Gabriele Adele Hampel aus Dresden für nichtig erklärt, die Dame entschwand nach Sansibar in Ostafrika.

Dann versuchte Herr von Redwitz es mit einer Älteren – Heidi übernahm die Vermarktung seines “bewährten Instituts für Eheanbahnung”.
Das waren noch Zeiten. Da hieß es, “Des Schicksals Wege sind wunderbar, nutzen auch Sie die Zeit” – und schon fand sich für jedes Töpflein auch ein Deckelchen. Die Hosen hatte Frau von Redwitz an.
Und heute?
Heute müssen wir uns Sorgen machen. Auf der Berlinale muss uns ein tunesischer Künstler erzählen, wie das geht mit der Liebe. Und in der Werbung erklären fröhliche Menschen, dass sie das ganze Romanzen-Geschäft nun im Internet abwickeln. „Ich dingsbumse jetzt.“

Sieben Millionen Frauen und Männer sind mittlerweile online auf der Pirsch. Über 200 Millionen Euro werden in der Netz-Kuppel-Branche umgesetzt – geile Geschichte! Nur manchmal etwas undurchsichtig.
Das mit der virtuellen Kontaktherstellung ist so eine Sache. Die meisten Partnerbörsen im Internet haben ihre Macken. Das hat die Stiftung Warentest herausgefunden. „Das schwache Abschneiden liegt meist am laxen Umgang der Anbieter mit den Nutzerdaten und an unfreundlichen Geschäftsbedingungen.“
Stiftung Warentest weiter: „Zahlungsdaten und persönliche Angaben werden häufig lesbar übermittelt. Einige  Anbieter haben deutliche und zwei sogar sehr deutliche Mängel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen. Seriosität sieht anders aus.“
Vielleicht sollte man sich doch auf Traditionelles besinnen.

Was eine echte Löwen-Mama ist, die nimmt das Schicksal des Sohnes immer noch selbst in die Hand. Und das sieht dann so aus:

Für kleines Geld wird eine Anzeige geschaltet, die denn auch wirklich zum ultimativen Erfolg führen muss. So gesehen dieser Tage in einer seriösen überregionalen Zeitung. „Bildhübsches Mädchen aus gutem Hause gesucht“, steht da. „Herzlich, ehrlich und humorvoll“ soll sie sein und „mehr im Hirn“ haben „als nur Partys und shoppen.“

Wenn sie die Prüfung besteht, bekommt sie einen „feinen, reifen, wohlhabenden jungen Mann, 20., sehr attr., humorvoll, selbstsicher, Top-Athlet, NR und NT“ (was wohl für Nichtraucher und Nichttrinker steht).

Dass das „bildhübsche Mädchen“ auch noch begehrenswerte Eltern mit intaktem Wertegefühl und einem sicheren Händchen für die treffende Formulierung einer süßen Dingsbums-Werbung bekommt, versteht sich von selbst.

Und sie muss sich obendrein nicht in diesem verflixten Netz verheddern.