ALTE WUT

14. februar, petersburg west virgina, 12 grad, ein wenig sonne/lindow, 0 grad, heiter      —–      winter 16/17, Folge 36

 

Eigentlich wollte Gereald Bland über seinen „Buffalo“ und die Notwendigkeit von Waffen in Petersburg/West Virginia und dem Rest der Welt reden.

Doch auf dem Weg durch sein Museum kommt ihm das Fernsehen ins Gehege.

Also, nicht dass sein Armeemuseum so wichtig wäre, dass die TV-Typen jetzt live in seinem Büro auf ihn warteten.

Aber da ist der kleine Apparat, der unablässig sendet, wenn Gereald in der Nähre ist. Schließlich ist der Betreiber des „top Kicks Military Museum“ ein weltoffener Mann, der wissen will, wie sich der Globus dreht. Gerade in diesen Tagen der neuen Regierung in Washington hat Gereald gerne die Finger am Puls der Zeit.

Er wirft einen kurzen Klick auf den Apparat, und ihm fehlen die Worte:

Michael Flynn, Sicherheitsberater von Donald Trump, hat die Brocken hingeschmissen.

Gerade zeigen sie ihn im Fernsehen, wie er sich erklärt. Ich stehe zu unserem Präsidenten. Donald Trump ist ein Geschenk für Amerika. Aber die Anschuldigungen der Presse machen es unmöglich…“

Gereald Bland kneift die Augen zusammen und ist nur noch ein zorniger Krieger.

„Haben sie’s also geschafft mit ihren Lügen.“

Er strafft sich, als er Flynn weiter zuhört. Während seiner gesamten Karriere, sagt der Politiker, habe er Wert auf Ehrbarkeit und Aufrichtigkeit gelegt. Es sei ihm eine große Ehre gewesen, mit US-Präsident Donald Trump zusammenzuarbeiten, ja, seine Regierung werde in die Geschichte eingehen…

Ein Journalist quatscht dazwischen. Er, Flynn, habe doch den Trump-Vize Mike Pence belogen, als der ihn nach seinen Kontakten zu Moskau befragte. Schließlich habe er, Flynn, vor den Wahlen schon den Russen Zugeständnisse gemacht, die er nie hätte machen dürfen.

Ein Versehen, alles musste so schnell geschehen, da habe er dem Vize wohl was Falsches erzählt, erklärt Flynn. Er hat Pence nicht angelogen, nein, das würde er nie tun. „Das waren unbeabsichtigt unvollständige Informationen über meine Telefongespräche mit dem russischen Botschafter. Mehr war das nicht. Aber die Presse…“

Gereald Bland kann es nicht mehr hören.

„Ich kann Euch jetzt nicht über den ,Buffalo‘ erzählen. Ich muss mich erst beruhigen. Kommt morgen wieder.“

Ungerührt steht draußen der „Buffalo“ in der warmen Wintersonne und setzt Rost an.

 

 

Der Mann vor seinem Hof hat sich noch nicht ganz beruhigt. Die Augen des Mannes sind wässrig blau, rot geädert, unter dem rechten wölbt sich eine purpurdunkle Warze.

“Nochmal, für den Fall, dass Du schlecht hörst: Was suchst Du hier auf meinem Grund?”

Man nehme gerade eine Auszeit vom Stadtleben, lasse sich so über Land treiben. Schriftsteller sei man. “Und Ihre alten Fahrzeuge erzählen von Zeiten, die uns gerade verloren gehen. Habe gedacht, dass ich vielleicht was darüber schreibe.”

“Dann biste sowas wie der Strittmatter. Der hat hier in der Nähe gewohnt.”

Der Strittmatter? Der Typ sieht wild aus, aber er hat Strittmatter im Kopf. Kann so schlimm nicht sein.

“Ja, kann man so sagen. Der Vergleich gefällt mir. Ja, Strittmatter ist gut.”

Der Andere lächelt. Lauernd.

“Eugen heiße ich. Matuschke. Familie kommt aus Ostpreussen.”

Seit wann denn  die Matuschkes auf diesem Hof leben?

“Ich bin hier geboren. Der Vater hat den Hof nach dem Krieg übernommen. Die Familie ist nachgekommen. Ich bin Jahrgang ’48. Willste mehr wissen?”

Ja, gerne.

“Da hinten ist eine Bank. Komm, mein Freund.”

Matuschke bleibt stehen, nimmt einen Schluck.

“Ich habe Dir doch gesagt, dass meine Leute aus Ostpreussen sind. Ja, das sind wir. Wir sind bekannt für unsere Dickschädel. Vor allem mein Vater hat einen Dickschädel gehabt. Ein Bein zu wenig, aber einen Kopf wie Holz.”

“Wo in Ostpreussen sind Sie geboren?”

“Du wirst mich nicht stören, ich mag das nicht. Du wirst einfach nur gut zuhören. Bist Du der Strittmatter oder nicht? Glaubst Du, der hätte schreiben können, wenn er dauernd gequatscht hätte? Also: Ohren auf!”

Eugen Matuschke hat eine unangenehme Art zu reden. Er moduliert nicht. Sein Singsang geht einem schnell auf den Zeiger. Aber Achtung! Matuschke lässt beim Vortrag den Gegenüber nicht aus den Augen. Er greift mit bösem Blick an. “Mein Freund” sagt er, und es klingt wie eine Drohung. Matuschke macht allen Vorwürfe. Er erklärt, dass alle schlecht seien, schlecht und undankbar. “Damals, zu meiner Zeit”, sagt er, “damals konnte man sich noch freuen, mein Lieber. Merk’ Dir: Freuen kann man sich nur, wenn man in Not ist.”

Er trinkt zügig, aber er wird nicht besoffen. Nur die Augen röten sich.

„Die Heimat ist Ostpreussen. Mein Vater hat es aus dem Krieg nicht mehr nach Hause geschafft, weil es kein Zuhause mehr gegeben hat. Die Mutter ist mit dem Rest der Familie hierher – jeder hat gerade mal so viel dabei gehabt, wie er tragen konnte. Der Krieg, der Hitler, der Ami, die Russen haben meiner Familie alles weg genommen.

Wir hatten zuhause ein großes Haus am Marktplatz, meine Eltern waren geachtete Leute in Elbing. Der Vater, mit dem sich keiner angelegt hat, wegen seinem Dickkopf und so. Und die Mutter, das war eine Geschäftsfrau, der keiner was vor machte.

Meine Geschwister sind in Elbing geboren, die Schwester war in der Vierten, als der Krieg zu Ende ging. Mich haben die Eltern hier in Brandenburg gemacht.

Aber deswegen bin ich doch keiner von den Schwachköpfen hier. Mein Blut ist ostpreussisch, ich bin da stolz drauf.”

Matuschke nimmt einen Schluck.

“Schau, vor ein paar Jahren habe ich mir das mit dem Internet beibringen lassen. Jetzt kann ich immer die Filme über die Heimat anschauen. Ich zeige sie Dir. Warte hier.”

Nach ein paar Minuten kommt er zurück. Er hat sich eine Hose und einen warmen Pullover angezogen, den Mantel wieder übergeworfen und trägt einen schmuddligen Laptop unterm Arm. Er schaltet den Computer ein.

Es sind Bilder aus einer verschwundenen Welt. Die Musik kommt von Wagner. Die Sprecher schwelgen in deutschem Basstum.

Elbing.

Vorspann:

“Die Stadt wurde im Jahre 1237 in Pogesanien, damals Teil des Deutschordenslandes, nahe dem altpreussischen Handelsort Truso an der Bernsteinstraße gegründet. Diesen Ort Truso am Flusse Ilfing erwähnt schon der angelsächsische Reisende Wulfstan im Jahre 900. 1241 erhielt Elbing das Stadtrecht nach Lübischem Recht.”

“Weißt Du, wenn ich unseren Fischfang in die Stadt brachte, in unser Elbing – es war immer wieder schön.”

“Da waren dann die Häuser, die wunderbaren Bürgerhäuser mit ihren Jahrhunderte alten Giebeln. Richtig angekuschelt lagen die Häuser um die Kirche herum. Das Altersheim schenkte seine Geborgenheit an alle, die müde Glieder hatten. Es war heimisch und sauber wie die ganze Stadt.”

“Oben standen die Leute auf den Brücken. Wo sie jetzt wohl sind?” 

“Jeder von ihnen hatte seine Sorgen. Aber man war zuhaus‘. Man hielt auf gute Nachbarschaft.”

“Das war keine Hetzerei.”

“Ja, in unserem Elbing, da wohnten fleißige und bescheidene Menschen. “

“Die wussten von der Hände Arbeit, was ein Groschen wert war.”

“An jedem Haus merkte man, wie der Fleiß Stein um Stein aufgebaut hatte. Wir wussten noch nicht, was die Zukunft bringen wird. Aber stolz waren wir auf die Vergangenheit. Blitzblank sah es in der Küche aus. Da saßen wir dann und sprachen von der Arbeit, die kommen würde. Und sprachen von den Erinnerungen. Der Ofen hörte zu. Das schöne Land belohnte jeden Tropfen Bauernschweiß mit guter Ernte. Wie heißt es doch: Nicht das Schwert regiert das Land, sondern der Pflug. Und der Acker gehorcht nicht dem Szepter, sondern der schwieligen Faust.”

“Es lag Gottes Segen auf diesem Fleckchen Erde.”

 

Die Show ist zu Ende. Matuschke schließt das Programm.

“Haste gelesen, was da zum Schluss gestanden hat?”, will er wissen.

Nicht?

“Dann sage ich es Dir noch einmal. Ich kann es auswendig. Das sollte man jedem Deutschen einbläuen:

“In Gedenken an alle deutschen Einwohner, die aus dieser Stadt vertrieben, entrechtet oder ermordet wurden.

 In Liebe zu Westpreussen und zum Wahren Ostdeutschland.”

 

“Du willst jetzt gehen, was?

Nee, so nicht!

Du hast wissen wollen, was hier vor sich geht. Also gut, ich erzähle es Dir. Du bleibst sitzen. Denn jetzt kommt die Geschichte. Du hast meine Maschinen fotografiert. Ich werde Dir von den Maschinen erzählen.

Von den Maschinen erzähle ich Dir. Und von der DDR und dem ganzen Beschiss. Und von der Treuhand. Und von der Merkel. Und dem ganzen Über-Beschiss.”

Böses Lachen.

 

Eugen trinkt und redet. Redet und trinkt. Bosheit und Wut fluten ihn.  Wellen des Zorns schlagen über ihm zusammen. Zorn über die Ungerechtigkeit. Zorn über die Geburt am falschen Ort. Über den Diebstahl jeder Heimat. Über seine Eltern, auf die er nicht zornig sein durfte.

Trinken. Reden. Reden. Reden. Den Ton nicht wechseln. Die Wörter kommen stet und unaufhaltsam. Es gibt keinen Punkt und kein Komma in diesem Reden. Keine Wichtigkeit, keine Nebensache. Das ist ein Monolog wie eine Gehirnwäsche.