WAGNERN

TANZ DER VIREN

24. Mai

Mal was Anderes: Franken, im Mai.

Immer was los im Landkreis Bayreuth. Sie hatten einen kleinen Skandal um den Bayern-Profi Jerome Boateng. Der größte Querulant der Stadt ist gestorben. Eine Wagner-Heroine fällt vorerst wegen Krankheit aus. Die Festspiele fallen auch flach. Und jetzt müssen sie in harten Zeiten die Kaufmännische Geschäftsführung im Opernbetrieb neu besetzen. Aber uns muss nicht bange werden – die Bayreuther werden das schon wuppen.

Der Reihe nach:

Vor einem Monat ist jemand am Coronavirus gestorben. Das wurde zu  einer Art Routine, deshalb veröffentlichten Radio, Lokalfernsehen und Zeitung den gleich lautenden, etwas lieblosen Text:

“Wie das Landratsamt mitteilt, ist am Mittwoch im Klinikum Bayreuth eine weitere hochbetagte Frau den Folgen dieser Virusinfektion erlegen.  Damit steigt die Zahl der Corona-Opfer auf vier.”

Schluss der Meldung. In Bälde mehr.

Interessanter als der Tod der Hochbetagten war da schon der Bericht einer Streife des Zolls. Die kontrollierte in der Wampener Straße bei Thiersheim einen Ford, “da sich an der Fahrzeugfront frische Unfallspuren befanden. Vier junge Männer befanden sich bei dem Auto, wobei ein 18-Jähriger volltrunken auf der Rückbank lag und nicht mehr auf Ansprache reagierte. Der Rettungsdienst brachte ihn aufgrund seiner starken Alkoholisierung in ein nahegelegenes Krankenhaus. Die weiteren Ermittlungen der Zollbeamten und der Polizisten aus Marktredwitz ergaben vor Ort, dass ein 16-Jähriger den Wagen gefahren hatte und bei dem Versuch, den Ford zu wenden, von der Straße abgekommen war. Der junge Fahrer erhielt eine Anzeige wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Darüber hinaus ergeht eine Anzeige gegen alle vier Beteiligten an die zuständige Behörde wegen eines Verstoßes gegen die derzeit gültige Ausgangsbeschränkung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes.”

Recht so.

Auch ein weiterer Unfall wurde ausführlich in der Region diskutiert. Jérome Boateng, Fußball-Profi des FC Bayern München, hatte auf der A9 seinen Sportwagen in die Leitplanke gesetzt. Brachte ihm erstmal 120 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg ein.

Und in den Medien hetzten sie:

“Derweil fragen sich viele, was der in München lebende Fußballer trotz Ausgangssperre rund 300 Kilometer von seinem Wohnort entfernt auf der Autobahn verloren hatte. Boateng soll seinen Sohn in Sachsen besucht haben.”

Das focht seinen Arbeitgeber nicht an, den Jérome zur Kasse zu bitten. Der FC Bayern gab sich in jenen Tagen moralisch-sauber. Also musste Boateng blechen, das Geld bekam ein Krankenhaus.

Super Image-Politur.

Sonst ging das Leben seinen Gang im Bayreuther Land. Eine Messerstecherei. Ein dingfest gemachter Drogenkurier. Nachts im Fichtelgebirge manchmal gar noch Bodenfrost.

Achja: Die Festspiele wurden abgesagt. Karten sind im nächsten Jahr gültig. Geht nicht anders. Wegen Corona. Sorry, Mister Wagner!

Dem Wo Sarazen hätte das gefallen. Dass einer dem Wagner mal den Saft abdreht. Dass die Bayreuther allen Grund zum Lamentieren haben, weil die Festspiel-Kohle ausbleibt. Dass tote Hose am Grünen Hügel ist.

Echt, das hätte dem alten Wo behagt. Weil er zeitlebens so eine Wut auf sein Bayreuth gehabt hat.

Aber Herr Sarazen konnte sich nicht mehr freuen. Mit 96 ist er friedlich gestorben. Kein Corona.

Zur Welt kam er als Werner Baumann am 8. August 1923 in Hof an der Saale.

“Die ersten vier Lebensjahre verbrachte ich in Edlendorf, das nahe der Stadt Helmbrechts in lieblicher Landschaft eingebettet ist. Das Haus, in dem wir wohnten, stand in der Dorfmitte und hatte einen geheimnisvollen Ruf bei den Bauern.

Einmal spielte ich ohne Aufsicht auf der Straße, als zwei wildgewordene Pferde samt Fuhrwerk in rasendem Tempo über mich hinweg galoppierten. Ich blieb unverletzt, und die Leute im Dorf sprachen von einem Wunder.

Kurz danach zogen meine Eltern nach Bayreuth.”

Seit der Geschichte mit dem Fuhrwerk war sich Werner sicher, dass er etwas Besonderes an sich hatte. Später würde er erklären, er sei ein Außerirdischer, punktum. Nichts machte ihn kaputt. Er war Überlebender des Kriegs, verhinderter Marathonläufer, Hausierer, Gärtner, Geschäftsführer in einem lausigen Varieté, bekam als Wo Sarazen 1949 einen Dichterpreis, betrieb einen Buchhandel, richtete ein “Verrottungsmuseum” ein…

“1964 eröffnete ich ein Antiquitätengeschäft. Der Laden lief gut, aber mit den Bayreuthern hatte ich so meine Probleme. Im Geschäft pflegte ich mich über mittags in eine große gotische Eichentruhe zu legen, der Deckel war mit einem Holzklotz justiert. Als ich wieder einmal in der Truhe lag, ging die Ladenglocke, und eine Dame betrat den Laden. Ich öffnete den Deckel, stand auf, breitete die Arme aus und rief mit dröhnender Stimme: ,Wer stört die Ruhe des großen Pharao?’? Mit einem Schreckensschrei verließ die Dame den Laden. Ich vermute, dass sie mich nicht weiter empfohlen hat.

1976 eröffnete ich mit meinen zweiten Frau unter ihrem Mädchennamen das Kunstauktionshaus Waltraud Boltz, das mit seinen Spezialauktionen weltweit bekannt geworden ist.”

2001 hat er dort Nachttöpfe versteigert. „Scheiße und braun, das passt zu Bayreuth“, sagte Wo Sarazen. „Wenn ich mal gestorben bin, werden ein paar blöde Bayreuther Dackel schreiben, ich bin der Mann, der die erste Nachttopf-Auktion der Welt gemacht hat, ich bin verrückt. Das ist dann mein Leben gewesen! Wisst Ihr was? Sollen doch die Bayreuther die Scheißerei darauf kriegen – und das ist sogar ein guter Wunsch! Weil, wenn man Durchfall kriegt, das reinigt den Darm.“

Nein, die Scheißerei haben sie nicht gekriegt. Sie haben nur keine Festspiele in diesem Jahr. Dann wurde auch die Chefin Katharina Wagner sehr krank und hat sich fürs Erste zurückgezogen.

Nun stellen sich die Opern-Entscheider in Oberfranken neu auf. In der „Süddeutschen“ suchen sie „eine erfahrene und engagierte Persönlichkeit als Kaufmännische Geschäftsführung (m/w/d)“. Nichts wie hin! „Es sind die herausragenden künstlerischen Qualitäten und nicht zuletzt die Tatsache, dass direkte Nachkommen Richard Wagners die Festspiele leiten, welches die Bayreuther Festspiele jedes Jahr aufs neue zum begehrten Anziehungspunkt eines hochinteressierten Publikums aus allen Teilen der Welt kommen lässt.“

Also: Auf nach Bayreuth, wenn sie (am besten sind Sie eine Frau) „eine überdurchschnittlich engagierte, leistungsstarke und teamorientierte Persönlichkeit“ sind. Ach, studiert müssen Sie auch haben – und überhaupt sollten Sie eine eierlegende Wollmilchsau sein.

Dann ist der Grüne Hügel was für Sie. Denn in Bayreuth gehen die Uhren noch wie zu Zeiten vor dem Virus.