VERRATEN, VERKAUFT

18. februar, west virginia, brandenburg, nicht zu kalt, nicht sonnig         ——      winter 16/17, Folge 41

 

West Virginia ist nicht unbedingt das Weite Land aus dem Western. Berge haben sie, die Menschen. Keine hohen Berge. Aber überall stehen sie dem freien Blick im Weg.

Petersburg liegt an der Grenze. Im Westen wallt der erste Gebirgszug auf. Dahinter liegt der Staat, dessen Bürger sich “montani simper liberi” (wir Bergbewohner sind immer frei) aufs Wappen geschrieben haben.

In Petersburg spüren die guten Amerikaner, wie im Rest des kreuzbraven West Virginia auch, eine ungewisse Angst. Sie wittern in die Weiten ihrer frisch aufgeforsteten Wälder und ahnen:

ISIS ist schon da.

In Petersburg wurde gar, so ist es auf einer Internetseite wertebewusster Konservativer der Region zu lesen, habe unlängst ein Terrorist ungestraft die Keyser Avenue gequert. Muss ein ISIS-Mann gewesen sein. War keiner aus der Gemeinde und hat eine dunkle Haut gehabt. Nee, war kein Neger und kein Inder. Eher Irak oder so. Finsterer Gesichtsausdruck. Nicht mehr lang, und der macht ein Attentat.

300 Kilometer und ein paar Bergrücken westlich liegt  Marmet. Da hat die ISIS schon zugeschlagen. Da ist schon eingetroffen, wovor der Präsident warnt.

Das Kriegerdenkmal haben die Schweine beschmutzt. Der Direktor der Stadtwerke – Johnny Walker heißt er – hat’s als Erster gesehen. Walker ist selbst ein verehrter Veteran, bei ihm setzte beinahe das Herz aus.

Sprüche und Zeichen, mit der Spraydose auf den Granit, gespotzt. Zeichen aus dem Orient. “ISIS” und “victory” und “fight”. Und “Support Isis & The Taliban”.

Die Rabatten zertreten.

Gefleddert die Stätte.

“Das Denkmal ist so wichtig für uns. Es zeigt unsere Stärke, es zeigt, dass wir gute Amerikaner sind”, sagt Walker der Zeitung.

Sie kommen raus aus ihren Löchern, diese Ratten. Das haben die Experten des Fusion Intelligence Centre (FIC) schon die ganze Zeit prophezeit. Für West Virginia riefen die Geheimdienstler den Notfall aus.

Fusion Intell…? Was das ist? Lassen wir’s die Herrschaften selbst erklären:

„Ein Fusion Center ist ein Mechanismus zum Austausch von nachrichtendienstlicher Information und Auswertungen, zum Maximieren von Ressourcen, zum Rationalisieren von Arbeitsabläufen, und zur verbesserten Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus durch die Bündelung von Daten aus einer Vielzahl von Quellen.“

Kurz: Das Center kämpft gegen die „niedrigste Form des Lebens“, die „niedrigste Form der Menschheit“, den menschlichen „Müll“, den „Schleim“, den „Abschaum“ (D. Trump Anfang Februar 2017).

FIC-Chef Thomas Kirk ist ein ganz Harter. Der wird sich nicht gefallen lassen, dass die Pest der Menschheit die schönen Wälder West Virginias infiziert. Er hat schon erklärt (und dem Mann kann man solche Sätze genauso glauben wie dem Präsidenten):

“Wir haben Hinweise, dass sich in West Virginia Zellen von Al Qaida formiert haben. Wir werden sie eliminieren. Und wir werden alle kriegen, die durch diesen Staat kommen. Ob sie im Auto auf den Highways unterwegs sind, ob sie an Flughäfen umsteigen. Und wenn sie meinen, sie können in den Bergen unterkriechen, dann haben sie sich getäuscht. Wir werden den Krieg gewinnen.”

 

 

Brandenburg scheint oft verschlafen. So eine Art Wanderlandschaft für Fontane-Freunde. Ein bisschen arm sind manche Leute, weil es so wenig Arbeit gibt. Aber sie haben gute Fische und preiswerte Küche. Die Kanzlerin empfängt beispielshalber ihre ausländischen Gäste sehr gern in Meseberg – da gibt’s dann lecker Spargel und das Gefühl einer heiteren, von dezent bewaffneten Spezialisten bewachtenWelt.

Lasst Euch nicht täuschen, Freunde! Das Land ist vor der Implosion. Vor dem Netto haben sich vor Kurzem die Glatzen gegenseitig verdroschen, weil ihnen die Mütterchen und die gebrechlichen alten Männer doch als Opfer nicht zusagten.

In den früheren Plattenbauten schauen sie “Trödeltrupp” und “Frauentausch” – dabei stapelt sich bei ihnen der Müll, und aus den Ehen ist auch schon der Pfiff raus. Die Kids haben teure Smartphones, das reicht fürs Lesen. Abends, wenn die Läden runter gelassen werden, sind nur noch Mutanten auf der Straße.

Mal haben die Rechten gegen Flüchtlinge demonstriert, die im Ortsteil Klosterheide untegebracht werden sollten. Da brach aus einem der Hauptredner heißer Hass gegen “die in Berlin” heraus.

Wenn Ihr Euch das antun wollt, Freunde, dann tippt mal https://www.youtube.com/watch?v=yFmRSB3Jnj4 ein.

KOMMEN SIE! SEHEN SIE! VERSTEHEN SIE!

Übrigens ist der Redner der Sohn eines ehemaligen Bürgermeisters der Stadt. Der machte sich auf einer Gegen-Demo – zwischen den Parteien hatte sich eine halbe Hundertschaft Polizisten formiert –  für die Flüchtlinge stark. Das seien schließlich auch nur Menschen.

Einer aus der Anti-Flüchtlings-Demo lachte höhnisch. Der Mann trug eine zerschlissene Lederjacke; hatte schon nachmittags einen beachtlichen Rausch. Aber weil er in Lindow aufgewachsen ist und die Abgründe der Gesellschaft seit einem halben Jahrhundert kennt, hat man denn doch aufgeschrieben, was er zu sagen hatte.

Der Mann sah hinüber zu dem liberalen Ex-Ortsvorsteher, der hinter einer Kette Uniformierter seine Menschenfreundlichkeit auf den Marktplatz brüllte. Der betrunkene Bürger spuckte aus:

“Glauben’Se dem man keen Wort. Wo wa noch DDR warn, is der Typ eener von den janz Strammen jewesen. Wennse wissn wolln, wie Stasi aussieht: Da drüben steht eener.”