SAVOIR VIVRE

lyon, 12. februar 2016

Der Patron hat, so vermelden es die Lokalzeitungen, vor dem Mittagessen drei Glas Champagner gehabt. Es gab einen Empfang bei Gérard Collomb, dem Bürgermeister von Lyon – alle waren da, auch der eigens aus den Staaten eingeflogene Sohn. Paul Bocuse hatte sein weißes Koch-Outfit doppelt stärken lassen und trug die hohe Mütze mit Stolz. Man wird ja nur einmal 90.

„Jetzt gehen wir essen“, erklärte er nach dem offiziellen Teil des Tages. Meine Karajans warten schon auf mich. Und ich brauche was Herzhaftes.“

Paul Bocuse sieht sich gerne als „Beethoven am Herd“. Mit „Karajans“ bezeichnet er die Köche, die Jahr für Jahr dem Haus Bocuse drei Sterne erkochen. Mit Trüffelsuppe (das Rezept kreierte Bocuse 1975 vor einem Empfang im Elysée-Palast), Huhn aus der Bresse, Beaujolais-Sorbet oder Seezungenfilet – Dingen, die sich gut auf der Karte fürs menu grande tradition classique à 255 Euro machen.

Bocuse selber mag es in diesen Festtagen eher rustikal.

Eintopf. Frischer Fisch. Es darf auch mal ein Eisbein mit neuem Sauerkraut sein („das haben die Deutschen mal so wunderbar gekonnt, jetzt ist es vergessen“).

Der Mann ist einsneunzig groß, wiegt immer noch 150 Kilo und hat sich nach einer Herzoperation wieder schön berappelt. Irgendwann geht es jetzt ans Sterben, aber das macht ihm nicht viel Kopfzerbrechen. „Ich habe meine Leben gehabt.“

Das hört sich dann so an: „Ich wurde am 11. Februar 1926 in Collongnes-au-Mont geboren. Meine Familie ist dort seit dem Jahre 1765 in der Gastronomie tätig. Auch mein Vater war Koch. Was, glauben Sie, hätte ich für einen anderen Beruf als Chef de Cuisine ergreifen können?”

Seinem Vater gehört ein kleines Gasthaus, ganz in der Nähe von Lyon. Paul reißt die Schule unwillig ab, verdrückt sich ohne Abschluss aus dem Gymnasium. 1942 fängt er eine Kochlehre im “Restaurant de la Soierie” in Lyon an.

Es ist der Beginn der Karriere des größten Kochs der modernen Geschichte.

“Im Laufe der Zeit wurde es immer schwieriger, Lebensmittel auf den Märkten aufzutreiben. Mein Chef schickte mich los, auf dem Schwarzmarkt Waren zu organisieren, von Kartoffeln über Wein, von Gewürzen bis zu Fleisch, einfach alles. Natürlich war es unmöglich, all seine Wünsche zu erfüllen. Es fehlte immer etwas. Wenn es mir mal gelang, ein Schwein zu erwerben, musste ich es selbst schlachten.”

1944 schert er als Freiwilliger in der 1. Französischen Division in den Krieg ein. “Im Elsass wurde ich von einer Maschinengewehrsalve niedergestreckt und in einem US-Feldlazarett gesund gepflegt, und am 18. Juni 1945 war ich bei Siegesparade in Paris.”

Als er nach Lyon zurückkehrt, setzt er seine Lehre bei Mère Brazier im “Col de la Luère” fort. Er bestellt den Gemüsegarten, melkt die Kühe, wäscht die Wäsche, bügelt und kocht, kocht, kocht.

1956. Endlich kehrt Bocuse nach Collonges-au-Mont-d’Or in den eigenen Familienbetrieb zurück. 1961 erste Auszeichnung als “Bester Arbeiter Frankreichs” und kurz darauf der erste Michelin-Stern.

50 Jahre drei Sterne im »Michelin«. Zwölf Restaurants und Brasserien in Frankreich, Japan und den USA – dort in Disney World. Dazu Schnell­imbisse, ein Hotel, Feinkost, drei Kochschulen. Bocuse, so Schätzungen, setzt pro Jahr 50 Millionen Euro um und beschäftigt 700 Angestellte.

Da kommt Neid auf. Der deutsche Küchenchef Lothar Eiermann vom Schlosshotel Friedrichsruhe mokiert sich über die Geschäftstüchtigkeit des Kollegen in einem offenen Brief.

Bocuse macht einen Schampus auf, beglückwünscht sich zu soviel Feindes-Ehr und depeschiert dem deutschen Haubenträger, er sei ein “Arschloch”.

Jetzt, in den Neunzigern, will er es gelassener angehen. Er schaut friedlich auf sein Zusammenleben mit drei Frauen zugleich zurück. „Wissen Sie, das war immer ein großer Luxus, ich habe ihnen ein gutes Leben bezahlt, sie haben es mir schön gemacht, wir hatten unseren Spaß, und ich hatte immer genug für zwei Flaschen Schampus am Tag – will man mehr?”

Und die Geschichte mit dem Kochen?

Ja, sagt Bocuse, die Sache muss man ernst nehmen. Sonst macht sie keinen Spaß. Kochen, das sei ein solides Handwerk. Du brauchst ein offenes Feuer und Respekt. Schluss mit dem Molekularküchen-Quatsch. Schluss mit den Mini-Portionen und mit ständig neuen Erfindungen. Und hör‘ auf, Kalorien zu zählen. Diäten verderben einem das Leben. Die Leute verlernen zu essen, sie schlucken nur noch.“

Das hat Bocuse, der weise Mann des Kochens, kurz vor seinem 90.en Geburtstag gesagt.

Und dabei wohl einen ziemlich nachhaltigen Eindruck auf den „Aquitaine 3“-Reporter Bernard Stahl gemacht. „Er ist immer noch ein mächtiger Mann, wenn es um gute Küche geht.“

Da ist Bocuse der Typ geblieben, den auch schon Eckart Witzigmann, selbst später ein ganz Großer, 1966 kennen gelernt hat: „Als Poissonnier sollte ich einmal Rotbarben zubereiten. Die hatte Bocuse selbst am Morgen auf dem Markt von Lyon gekauft. Voller Eifer schnitt ich, so wie ich es gelernt hatte, den Fischen mit der Schere die Schwanzflossen ab. Bocuse kochte innerlich und machte ein furchterregendes Gesicht.“

Und so hat der Österreicher Witzigmann an diesem Tag gelernt, dass der Fisch heil bleiben muss. Da kennt der Patron kein Pardon. Sonst gibt’s was auf die Flossen.