MUNICH BLUES

münchen, 21. märz 2015

Es ist kein schöner Kiosk. Nebenan rauscht es vom Mittleren Ring, der Kies ist nicht geharkt, auf den Toiletten ist mn sich im Weg. Der Kuchen schmeckt nach liebloser Bäckerei. Die Wiener kommen schon mal mit geplatzter Haut neben lätscherten Semmeln auf den Teller. Nein, es ist kein Juwel der Münchner Gastronomie. Aber wohl fühlen sich die Menschen, die hier ausrasten vom Stadt-Geschubse und vom Tag und vom Zuviel an lästigem Leben. Sauwohl fühlen sie sich hier.

Der Hausl hat nur noch wenige Zähne, und die sehen aus wie die Ruinen der Burg Grünwald. Aber der Mann lächelt mit seinem schlechten Gebiss wunderbar menschlich und hat immer ein gutes Wort für seine Gäste.

Dabei hat ihm das Leben arg mitgespielt. 1972 hat er es in Thüringen nach vier fehlgeschlagenen Versuchen und einem guten Jahr im DDR-Knast als 18-Jähriger über die Werra in den Westen geschafft. Es war im Mai in einer hellen Nacht, trotzdem hat er sich bei der Flucht zwischen den Maschendraht-Spüerren verlaufen und ist fast wieder in der DDR gelandet. Naja, ist dann doch gut gegangen, er hat beim Bund angeheuert und sich durch anstrengende 40 Jahre in der neuen bayerischen Heimat geschlagen.

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Reden ist Gold, Schweigen auch.

 

Jetzt langt die Rente nicht, also steht er im Kiosk hinterm Tresen. Immer freundlich, immer mit einem netten Thüringer Spruch gibt er aus, worauf die Gäste Gusto haben – und wenn es ein Kaffee oder ein Chateauneuf du Pape ist.

Heute blinzelt er aus seinem Verschlag und meint: “Blöder Arbeitsplatz. Frühling wird’s – aber ich merke nichts davon.”

Dafür genießen die Menschen an den einfachen Tischen unter den Baum-Gerippen die Sonne. Die Männer krempeln die Hemdsärmel hoch, die Jacken haben sie über die Klappstühle gehängt. Eine Frau sitzt auch da, ihr Gehstock lehnt am Tisch. Heute hat es nur einen Kaffee-Trinker. Der Rest bleibt beim Hellen, Weizen, bei der Weißwein-Schorle. Einer hat die Brotzeit beendet, wischt mit zufriedenem Lächeln das Brett ab und verstaut es im Rucksack. Sein Gegenüber dreht sich zitternd eine Zigarette.

Der Mops vom Kiosk, der unter den Tischen nach Fressen sucht, ist ein Weibchen, gwampert wie ein Elefant vom Zirkus “Krone”, hat ein grünblaues Halsband und heißt “Dicker”.

Am Stammtisch reden sie über das “Rolandseck” in der Stadt. War früher mal eine urige Wirtschaft, heute trifft man da nur noch das Schickeria-Gschwerl. “Heißt auch nicht mehr , Rolandseck’, heißt jetzt ,KvR’. Wisst’s Ihr, für was das steht? Für ,Köstliches vom Rind’. Die spinnen doch, mit ihren neumodischen Namen.”

Man nickt.

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Die Sonne hat das Wort.

 

Die Frau mit dem Gehstock hat graue Haare und traurige Augen. Sie liest die “Süddeutsche”. “Zum Leben zu wenig” steht da -und”Das letzte Wort für die Angehörigen”. Oder “Schlampige Staatsanwaltschaft” und “Burn it IV”.

Die Dame legt die Zeitung weg und sieht in die Ferne. Es ist nicht mehr ihre Welt.

Am Stammtisch ist die Politik dran:

“Diese Tunesien-Scheiße!”

“In der Ukraine jetzt über 6000 Tote!”

“Was wirklich da drunten abgeht, das weiß doch kein Schwein.”

“Der Karren ist doch überall im Dreck.”

“I hoi ma no amoi a Schorle.”

“Wart’, bringst mir a Hoibe mit?”

“Freili.”

Nebenan packen der Mike und sein Spezl die Gitarren aus. Der Mike hat eine Gibson, abgearbeitet, durch viele Nächte und Tage gegangen.

Sie fangen an zu spielen. Der Mike hat flinke Finger, nur die zwei äußeren an der rechten Hand tun’s nicht mehr. Die Nerven! Aber die übrigen acht Finger sind flink, echt. Die Knochen der Männer mögen morsch sein – aber die Stimmen klingen in aller Brüchigkeit nach Sehnsucht und gehabten Raufereien.

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Die Welt: ein Trauerspiel? Ach was!

 

“She left me”, singt der Mike.

Die Schuhe hat sie mir naus gestellt.

“She said, she feels like dancing. And that was the night she left me.”

Tanzen hat sie wollen, mit den Anderen. Und da hat sie mir die Schuhe naus gestellt.

“I guess i never saw such misery.”

So schlecht is mia no nia ganga.

Seufzend liest die alte Frau noch einen kleinen Artikel. “Dicker” hat das Suchen eingestellt und aalt sich im Kies. Am Stammtisch schweigen sie, weil alles gesagt ist. Mike geht das nächste Lied an. Leise steigen die Töne auf. Texas, mitten in München, von ferne rauscht der Ring, und der Blues verklingt in der frühen Sonne des Jahres.

Grad schön ist es.