MISS FRÜHLING

lindow, 5. mai 2015

“Wow”, schwärmt die Gärtnerin und lässt verzückt den Blick über die Scholle schweifen. Lang haben sie sich bedeckt gehalten, dann drängte es sie mit Macht an die Frühlingsluft. Nun ragen sie frech aus Maulwurfshügeln, bevölkern kohortenstark die Beete, stellen sich dem Besucher schon am Eingangstörchen in den Weg. Eine bewacht gar den Spinat, der scheu aus der Krume lugt. Überall sind sie und treiben es bizarr bunt:

TULPEN!

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Der Tulpe hat unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine bezirzte Journalisten einen verbalen Kranz geflochten:

“Sie ist schlicht, keine Diva wie die Rose, auch betört sie nur selten durch starken Duft. Und doch ist die Tulpe seit Jahrhunderten eine der beliebtesten Gartenblumen. Das liegt auch daran, dass sie so unkompliziert ist und sich leicht züchten lässt.”

Ach, möchte man meinen, welch allerliebstes Wunderwesen. Doch Vorsicht: Sie sind gefährliche Schöne, diese Nymphen aus Amsterdam.

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Da ist die Sache mit dem Gift. Vorwiegend in Zwiebel und Spross lauert das grimme Tulipanin. Die Symptome einer Tulpenvergiftung sind Erbrechen, Magen- und Darmbeschwerden, der Bauch krampft, der Mensch kühlt aus. Bei starker Vergiftung ist auch Atemstillstand nicht ausgeschlossen. Äußerlich bewirkt das Gift exzemartige Reizungen der Haut, die so genannte Tulpendermatitis oder Tulpenkrätze. Insbesondere Personen, die beruflich mit der Pflanze zu tun haben sind davon betroffen. Juckt, schmerzt – hinterlässt Hass und Pein beim Ex-Tulpen-Fan.

Trotzdem hat der Mensch die Tulpe seit jeher zum Fressen gern gehabt. Die in Persien wild wachsende Blume hatte zum Beispiel in ” Tausendundeinernacht “, etwa 1255 n. Chr. einen starken Auftritt. Im Mittelalter machte sie die Türken kirre. Sultan Selim II. soll 1574 allein 50000 Tulpenzwiebeln bestellt haben – im 16. Jahrhundert gab es über 1300 verschiedene Formen.

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In Europa wurde die Tulpe durch den belgischen Diplomaten Busbeck bekannt, der 1544 Samen der Pflanze nach Wien schickte.

Tja, dann ging es richtig los. Tulpen wurden nach England verschickt, dort fand man sie schick, missionierte damit Hollands Botanik. Und ein großes farbenfrohes Elend nahm seinen Lauf.

Zugetragen hat es sich in den Jahren 1637 bis 1643. Später hieß das große Blumen-Unglück die “Tulpenmanie”.

Am schlimmsten erwischte es diejenigen, die dem Fräulein “Semper Augustus” verfielen. Was für eine Anmut! Blau am Blütenboden, wo der schlanke Stil ansetzte, nach oben übergehend in ein reines Weiß, aus dem blutrote Flammen zur Spitze hin züngelten. “Semper Augustus” sehen und sterben – das hatte was. Das Privileg, es in natura betrachten zu dürfen, war nämlich nur wenigen Zeitgenossen vergönnt.

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Von der seltensten und teuersten Sorte zirkulierten in ganz Holland zeitweilig nur rund ein Dutzend Tulpen-Zwiebeln, und die waren unerschwinglich: 10.000 Gulden verlangten Händler zu Beginn des Jahres 1637 für eine “Semper Augustus” (“Allzeit erhaben”), eine Summe, mit der sich mühelos ein großes Stadthaus an einer der vornehmsten Grachten Amsterdams erwerben ließ.

Es war der Höhepunkt des “Großen Tulpen-Wahns”, jener Manie, die als frühe und exemplarische Spekulationsblase in die Wirtschaftsgeschichte eingehen sollte. Im Lauf einiger Monate hatten sich die Preise vervielfacht, zu denen die Tulpen in den Wirtshäusern gehandelt wurden. Im Februar 1637 fielen dann die Kurse binnen weniger Tage ins Nichts. Viele Menschen waren auf einen Schlag ruiniert: “Edelleute, Kaufleute, Handwerker, Schiffer, Torfträger, Schornsteinfeger, Knechte, Mägde, Trödelweiber, alles war von gleicher Sucht befallen”, berichten die Annalen.

Manche kamen nicht über die verhängnisvolle Leidenschaft hinweg. Die Tulpe ruinierte sie, sie sahen keinen Ausweg – und endeten auf dem “Ellendigen Kerkhof” zu Amsterdam. Dort wurden die Selbstmörder verscharrt.

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Schließlich wurde der Tulpen-Spekuliererei per Gesetz ein Ende gemacht. Die Blume spross und verblühte, erfand sich immer wieder neu, blieb everybodys darling. Die Sache mit dem Gift hat sich herum gesprochen, keiner kaut heute mehr auf einemTulpenspross herum. Zwiebeln für blaue Blumen kann man bisweilen beim Discounter kaufen, und eine kollektive Manie steht nicht mehr zu befürchten.

Und doch schiebt sie sich alljährlich an die Luft. Strafft sich, bekommt einen dicken Kopf, legt buntes Makeup auf…

Und schon sagt jedermann:

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FOTOS: BARBARA VOLKMER (Mehr Florales unter www.barbara-volkmer.com)

WOW!