IM MAIS

HERBST ’19, # 1.

Das Feld findet sich auf dem Breitengrad 48,31 und dem Längengrad 1,55. Abgerundet. 150 Meter misst es in der Länge, 50 in der Breite. Stößt im Westen an die Ausläufer der Gemeinde Ottershausen, im Westen läuft es in ein vertrockendes Moor. Südlich ein Entwässerungsgraben, im Norden steigt ein Wäldchen einen langen Moränenhügel hoch.

Das Feld ist unspektakulär. Mit der Ausnahme, dass nirgends in der Umgebung der Mais so hoch wächst wie hier. Zweieinhalb, drei Meter staken die Stauden in den Himmel. An den Feldrändern sind sie eine Wand.

Noch ein paar Wochen, dann kommt der Bauer und macht das Feld platt. Aber jetzt ist es eine eigene Dschungelwelt, in die sich nicht mal die Hunde trauen.

Der Hocker wird tief im Feld ausgeklappt. Erstmal setzen!

Die Schlucht zwischen den Maisreihen verjüngt sich nach zwei Metern, wenig weiter hat der Horizont ein Ende. Der Blick zur Seite prallt von Maisstängel-Kohorten ab. Graues Licht kommt von oben, es nieselt, der Regen versammelt sich in den  Blättern, rinnt in Salen bis an die Spitzen und tropft auf fette Erde.

Da wo das Licht herkommt, ist hochhoch ein bleierner Himmel.

Still ist es im Feld.

Ab und zu geht ein Wind, ruhig und harmlos. Er greift in die Spitzen der Stauden und schunkelt sie leicht hin und her. Die obersten Blätter rascheln, nach unten schafft es der Wind nicht.

Da stehen sie kerzengerade und ungerührt. Sie verkrallen sich mit einem Dutzend gebogener Stelzen in die mit kleinen Steinen durchsetzte Krume und sind ungerührt.

Da muss das Wetter schon mehr her Wut herbringen, wenn es hier unten in der Mitte des Feldes einen Eindruck machen will.

Einfach im Feld hocken und warten, bis sich die Welt draußen verpisst…

Das geht.

Rund um den Globus sitzen 600000 Urlauber fest, weil der „Reise-Riese“ Thomas Cook kein Geld mehr hat. Der amerikanische Präsident ist unter Druck, weil er wieder mal ein kriminelles Telefonat geführt hat. Die Deutschen haben wieder mal eine Heidenangst vor Altersarmut. Auf der Autobahn München-Nürnberg hat es einen Mega-Stau, die Woche fängt gut an.

Es ist zehn vor zehn am Vormittag, der Herbst hat begonnen.

Alles wie gehabt. Draußen möchte‘ man manchmal meinen, die Welt taumle.

Hier drinnen im Feld fühlt man sich eingebettet. Keine rechte Angst, keine Hektik. Einfach nur auf dem Hocker sitzen und warten.

Hat schon mal schlechter angefangen, der Herbst.