ERFOLG

„2017”*, Folge 85, 11. Dezember. “Durchs Land”/XXVI.

 

Zeutsch. Hans Krohn trinkt ein Gebräu aus kochend heißem Wasser, geriebenem Ingwer, Knoblauch und viel Honig. Die Wirtin hat es ihm aufs Zimmer gebracht. Das habe ihr schon die Omi eingeflößt, wenn eine Grippe im Anzug war. Ob er sonst noch etwas brauche?

Krohn ist verblüfft und gerührt. Das kennt er nicht mehr: Dass sich jemand um ihn kümmert.

Die Wirtin hat braune Augen und rauhe Hände. Praller Hintern, stramme Beine, raspelkurze braune Haare. Eine ansehnliche Frau, die – wenn er sich nicht täuscht – mit ihm anbandelt.

Jetzt möge er sich erstmal ins Bett legen. Sie sehe später nach ihm und bringe eine Hühnersuppe. Wie könne einer auch bei diesem Sauwetter durch Deutschland marschieren!

Ob er nicht die Trainingshose ausziehen wolle, das sei doch bequemer? Ob sie das Fenster ein wenig öffnen solle? Wolle er fernsehen?

Wie könne einer auch bei diesem Sauwetter durch Deutschland marschieren! Sie schüttelt den Kopf und deckt ihn zu.

Naja, sie müsse erstmal nach unten in die Wirtschaft. Vielleicht werde er schlafen, das würde ihm gut tun.

Krohn nickt, die Tür schnappt ins Schloss – und er ist auch schon weg.

Fiebriger Traum:

Hans Krohn hat Henri Cartier-Bresson im Studio. Es soll ein Porträt für eine große Illustrierte werden. Das Studio ist riesig, Krohn hat sich für eine gigantische Licht-Orgie gerüstet. Er wird mit einer digitalen Leica fotografieren, durchs Studio eilen Assistenten und Visagisten, ein Produzent beobachtet die Szene, am Computer sitzt ein Fachmann fürs Digitale.

Carier-Bresson ist wunderschön. Er hat tolle Titten, raspelkurze Haare, rehbraune Augen. Lange Beine. Minirock. Einen Körper, der gevögelt werden will.

Aber er ist eine geschwätzige Diva. Cartier-Bresson erzählt Scheiße.

Krohn sagt zum großen Cartier, dass er Scheiße redet.

Der ist beleidigt. Verlässt schmollend das Studio. Schöne volle Lippen hat er ja, kirschrote.

Nach einer Weile rollt Cartier auf Inline-Skatern zurück ins Studio. Er wird begleitet von Krohns Vater, der, mit den Schultern zuckend, vermitteln will.

Krohn: “Da gibt’s nichts zu reden. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.”

“Doch.” Cartier-Bresson hat eine werbende liebevolle Stimme.

Er setzt sich auf einen Regiestuhl und macht die Beine breit.

Hans Krohn seufzt im Schlaf und schwitzt die Grippe aus.

Später weckt ihn die Wirtin, und er duscht erst einmal.

 

xxx

 

Freunde durften ihn “Seb” nennen. Das fand er witzig. “Seb”, das erinnerte an “Sepp”.

Krohn, der Architekt, kokettierte mit seiner Herkunft. Er gab sich als der Bergbauernbub (der er nicht war). Er verfiel gern einmal in ein schickes Boarisch, kaum verständlich und dabei so charmant exotisch. Das kam bei den Damen gut an, weil es was Geil-Holzhauerhaftes hatte. Und die Kerle mochten es, weil der “Seb” ihr derber Duz-Kumpel war.

Dick war er geworden – er schob seinen Wanst selbstbewusst übers Parkett und in die Verhandlungen.

Krohn war gut im Geschäft. Mit den Projekten im alpenländischen Stil hatte er seine Marktlücke gefunden. Teuer war er und ließ sich bitten. Den “Seb” bekam nicht jedermann. Der “Seb” machte sich rar.

Für die Familie hatte er ein Anwesen in die Voralpen gestellt, er selbst wohnte in München und Düsseldorf. Er verbreitete, er sei seinem Land sehr verbunden, deswegen werde er nie nach New York oder London oder zu den Scheichs…

Nie! Das Heimweh wäre zu groß.

Was freilich ein Schmarrn war. Sebastian Krohn tat sich selbst mit dem leichtesten Englisch schwer. Er hatte panische Angst, seine Sprache zu verlassen.

Krohn kam nicht zur Ruhe. Wenn er seine Frau und den Sohn nach Davos begleitete, wurde auch eine der beiden Sekretärinnen (sie waren sexy, blond, von einer frivolen Verschwiegenheit) im Hotel eingemietet. Hans Krohn und seine Mutter fuhren Ski, “Seb” arbeitete. Er telefonierte und depeschierte, er empfing geldige Menschen zum Essen, er ließ seine Architekten kommen und ihre Entwürfe vorlegen.

Beim Mittagessen gab es Wein, danach einen Cognac – und nach dem Espresso begann das Biertrinken. Nur Pilsner Urquell aus schmalen blanken Stangen. Abends saß Sebastian Krohn vor dem Fernsehgerät und bekam nicht mehr viel mit, Eve und ihr Sohn spielten Rommé zu zweit.

Er redete nicht viel mit ihnen, wollte ja nichts wissen und hatte nichts zu erzählen.

Sie ließen ihn. Er hatte seine Marotten, roch nach Alkohol und ging nach der “Tagesschau” mit unsicheren Schritten ins Schlafzimmer (manchmal schlief er vor dem Fernseher ein). Er war ein bisschen gestört. Aber er verdiente viel Geld, man konnte sich das beste Haus am Platz, die schicksten Autos, die feschsten Skier von Kneissl, alle Liftkarten der Welt leisten. Und er tat niemandem weh.

Wirklich?

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.