DER GETRIEBENE

berlin, 10. februar 2015

Es ist wie in der Fabel vom Hasen und dem Igel. Du rennst von Kino zu Kino, du hastest von Party zu Party auf der „Berlinale“. Und am Ende steht da einer und quäkt: “Ick bün all hier.” Das ist der Wim Wenders – es scheint, der Mann habe in der ganzen Hauptstadt Replikanten am Feiern und Reden und Lächeln.

Dem Wenders und seinen Klonen geht es momentan saugut. “Mann der Stunde” nennen ihn die Film-Freunde und werden ganz ehrfürchtig. Am Donnerstag bekommt er einen Ehren-Bären, verbunden mit der Wiederaufführung von sieben restaurierten Filmen, sein neuer Film läuft heute Abend, seine jüngste Dokumentation ist für den Oscar nominiert, im März gibt‘s eine Wenders-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art.

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Der Mann der Stunde…

 

69, kein bisschen leise, ein Job nach dem anderen – dabei könnte er sich zurücklehnen und zufrieden sein mit sich. Seit den Siebzigerjahren hat der gebürtige Düsseldorfer mehr als 60 Filme gedreht. “Der Stand der Dinge” (1982) etwa. “Paris, Texas” (1984). “Der Himmel über Berlin” (1987). “Buena Vista Social Club” (1999). Das 3-D-Projekt “Pina” über Pina Bausch und ihr Wuppertaler Tanztheater, für den Oscar nominiert.

Heute stellt er wieder was Neues vor. Das Beziehungsdrama “Every Thing will be Fine” mit James Franco und Charlotte Gainsbourg ist in 3D gedreht und läuft außer Konkurrenz. Erzählt wird die Geschichte des Schriftstellers Tomas, der ein Kind überfährt. Der Film folgt über zwölf Jahre seinem Versuch, dem Leben wieder einen Sinn zu geben und eine eigene Familie aufzubauen. Parallel dazu verläuft die Geschichte von Kate und Christopher, der Mutter und dem Bruder des Opfers, bis dieser 17 Jahre alt ist und sich entschließt, den Fremden wiederzusehen, den er nur einmal, an jenem verhängnisvollen Abend, getroffen hat.

Als er noch mit diesem Film beschäftigt war, musste Wenders “ein Angebot mit ganz großen Schmerzen ablehnen. Aber im Kopf schwirrt die Offerte noch immer.”

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…hätte ja gut lachen…,

 

Wenders – den Rastlosen, der so behutsam formuliert – zieht es zum Fernsehen. “Die richtig guten Leute arbeiten dort, weil sie nur da wirklich erzählen, fabulieren, sich kreativ ausleben können. Im kommerziellen Kino sind die Zügel so hart angezogen und die Rezepte so ausgekocht, dass das Abenteuer des Filmemachens verloren gegangen ist.”

Dann schweigt der Mann erst einmal. Jetzt geht‘s eben nicht über die Erfolge und das Gewesene – jetzt denkt er darüber nach, was sich gerade in seinem Metier tut.

Und die Vorgänge bereiten ihm Sorgen.

3D, die Technik, in die er so große Hoffnung gesetzt hat: “Das ist wie eine Kuh, die jeder melken will; eines Tages gibt sie keine Milch mehr. Dabei fängt ein Verständnis für 3D doch gerade erst an!”

Die “neuen” Bilder, ein Gräuel:

“Vieles funktioniert im Kino heute ja, indem es die alte Filmsprache regelrecht in Grund und Boden stampft”, unkt Wenders in der FAZ. “Vieles wird heute so geschnitten, dass ein Cutter und gar ein Publikum aus der klassischen Zeit des Kinos nur schreiend den Saal verlassen würde. In dieser ,Verhunzung‘ ist gleichzeitig schon wieder eine neue zeitgenössische Sprache entstanden, die Sachen zeigt, die man vorher nicht erzählen konnte, eine Sprache, die nicht mehr wie von uns früher bewusst eingesetzt wird, sondern ganz intuitiv und manchmal auch nur einfach brutal. Viele Filme werden heute ziemlich brutal gemacht.”

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…doch er sorgt sich.

 

Wim Wenders hat sich nicht sehr geändert seit 1967, als er mit “Schauplätze” seinen Erstling zuwege brachte. Wim Wenders macht sich immer noch Sorgen. Dem Kritiker Michael Althen sagte er einmal:

“Ich habe oft ziemlich viele Ängste ausgestanden und fand auch das Drehen nicht besonders angenehm. Nach dem ersten Drehtag will ich nur fertig werden.”

Fertig werden, bis zum Schluss das Sagen haben, dann abliefern, auf eine Party gehen, einen Preis entgegen nehmen – und ab zum nächsten Projekt. So ist das, wenn man ein Getriebener ist.