AUS DER SPUR

„2017”*, Folge 29, 16. Oktober. Es ist ein warmer Herbst.

 

Charly passt seinen Freund am Empfang ab. „Komm mit in mein Büro. Wir müssen reden.“

Auf der Treppe begegnen sie ein paar Männern, die Kisten und Computer aus dem Haus tragen. Was das denn bedeute, fragt Eddy. Nicht hier, antwortet Charly und hastet den Gang entlang. Eddy folgt ihm, sie sind im Büro des Chefs, der schließt die Tür. Er schwitzt.

 

„Hat Deine Freundin was damit zu tun?“

„Mit was? Was meinst Du?“

„Die sagen, wir haben krumme Dinger in der DDR gedreht.“

„Was? Nochmal!“

„Wir haben da Technologie rüber gefahren, die eigentlich geheim sein sollte. So Elektronik-Sachen. Kann man wohl auch fürs Militär nutzen. Sieht nicht gut aus für uns.“

„Wie das? Wir haben doch gar nichts gewusst.“

„Aber wir stehen in den Akten. Ich blicke da auch nicht durch. Aber es sieht wohl so aus, als wären wir Komplizen, so ‘ne Art Spione.“

Eddy ist baff.

„Ich habe alles durchgecheckt. Den Namen von jedem, der mit den Geschäften zu tun hatte…“

„Und?“

„Und? Du fragst da noch? Und?“

„Was regste Dich denn so auf.“

„Eddy, Du bist der Einzige bei uns mit Ost-Kontakten. Bist Du Dir sicher, was Deine Freundin angeht?“

Eddy schweigt. Wie soll er sich noch irgendeiner Sache sicher sein?

„Siehste! Kann doch sein, dass die mit Dir doppeltes Spiel gespielt hat. Wann hast Du sie zuletzt gesehen?“

Seit der Wende nicht, sagt Eddy, der blass geworden ist. Sie sei verschwunden. Kein Zeichen, kein Anruf, keine Nachricht.

„Siehste“, sagt Charly wieder – ohne Genugtuung. Müde klingt er. „Eddy, die machen uns die Hölle heiß. Diese Scheiß-Politik kann uns den Hals brechen.“

„Und? Was haste vor, was machen wir jetzt?“

„Also, zuerst mal kümmern uns die ganzen Frauen-Geschichten einen Scheißdreck. Vergiss‘ die Dame. Wir müssen jetzt auf uns aufpassen. Wir machen erst einmal weiter, als ob nichts wäre. Die werden sich schon melden – und dann sehen wir weiter. Mal was Anderes: Wie läuft es bei Dir zuhause? Weiß Deine Frau von der Sache?“

Ja, aber es sei ihr ziemlich egal. Alles beim Alten zuhause. Man rede nur das Nötigste und lasse sich in Ruhe. Sei besser so.

„Das ist dann doch okay. Wenigstens da gibt’s keinen Ärger.“

 

Die Freunde sehen sich an. Charly ist alt geworden, denkt Eddy. Fett und fahl im Gesicht. Abgekaute Fingernägel, die Anzüge waren auch mal besser geschnitten. In seinem Büro riecht es nach Schweiß und billigen Rauchwaren. Auf dem Tisch stapeln sich die Vorgänge – früher hat Eddy den Bürokram ratzfatz aufgeräumt. Wenn er abends die Firma verließ, sah das Büro wie geleckt aus, und es roch nach teurem Herrenduft.

Wahrscheinlich bin ich auch so von der Rolle, denkt Eddy. Rasieren hätte ich mich müssen, ein frisches Hemd wäre auch gut. Wahrscheinlich dünstet unter den Achseln der Alkohol aus, ich saufe zuviel, ich denke zu oft an Mandy, ach, Mandy, ich werde meine Arbeit verlieren, wir werden im Gefängnis landen, ich will nicht mehr nach Schöneberg zur Frau und in die Wohnung mit dem Fernseher, ich will eigentlich nichts mehr, es ist sehr anstrengend, es ist’s nicht wert, Mandy, Mandy. Mandy.

Er hört Charly tief durchatmen. Wie ein Walross, denkt Eddy, wie das Walross vom Hamburger Zoo. Warum denke ich jetzt an dieses Walross, ich war doch nie im Hamburger Zoo, ich bin echt ganz schön von der Rolle, mich kann man den Hasen geben, ich habe keinen Bock mehr, aber Charly geht es genauso beschissen, was hatten wir für tolle Zeiten – und jetzt? Ein heilloses Durcheinander. Mandy. Ach, diese verfickte Wiedervereinigung. Wie kriegen wir das wieder auf die Reihe?

 

Charly also schnauft durch. Er versucht sich an dem Lächeln, mit dem er schon Dutzende Mädels ins Bett bekommen hat.

„Passt schon, Eddy, wird schon wieder. Danach lachen wir drüber. Über alles.“

Das Lächeln misslingt.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.