ARSCH

 

„2017”*, Folge 82, 8. Dezember. “Durchs Land”/XXIII.

 

Kronach. An der Bundesstraße steht immer noch der Wurst-Imbiss. Hans Krohn, der eigentlich kein Fleisch isst, kauft sich eine Thüringer im Brötchen. Man sagt, es gebe keine bessere Bratwurst auf der Welt.

Ja, sie schmeckt immer noch so wie früher.

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Früher – das war, als sie den Vater im Krankenhaus besuchen mussten, weil der von einem der besten Arsch-Doktoren des Landes operiert wurde.

Irgendein Krebs oder sowas.

Der Arzt war hoffärtig. Ein hagerer großer Mann mit hohen Wangenknochen und leblosen Augen. Er kam aus Oberbayern und sprach einen derben Dialekt mit Krohn senior. Nichts Elegantes hatte dieser Mann im Anzug.

Der Vater hatte seine Frau und den Sohn im Krankenzimmer empfangen und unruhig gewirkt. So kannte Hans Krohn ihn gar nicht. Sein Vater ließ sich nicht gehen, er trug eine  Hose mit Bügelfalten und ein teures Sakko. Saß auf der Bettkante, die Füße in den italienischen Slippern baumelten über dem Linoleumboden. Sebastian Krohn mühte sich um Haltung, aber er hatte den Boden verloren.

Der „Herr Professor“ stand nun vor ihm und lächelte ohne Freundlichkeit. „Dann packma‘s morgen“, erklärte er. „Soll i nomoi erzähln, was gmacht wead?“

„Nein, das brauchen’S nicht“ antwortete Sebastian Krohn, er hatte eine gepresste Stimme. „Wir haben es ja durchgesprochen. Ich möchte nur um eines bitten.“

„Ja, is scho guat. Wos denn?“

„Gehen’S pfleglich mit meinem Hintern um, wenn ich schön bitten dürft‘.“ Sebastian Krohn versuchte sich im Humor des Offiziers und Gentlemanns.

„Wie moana’s des? I vasteh Eahna net.“

„Also, mit Verlaub, bei der Untersuchung gestern habe ich mich wie auf der Schlachtbank gefühlt.“

Die Augen des Professors waren grau.

„Sie san a Sensibla, gell. Jetz sog i Eahna was: Morgen spürn Sie glei gar nix. Und stelln’s Eahna guat mit mia. Morgen bin i da Chef. Des wissen’s scho.“

Es war das erste Mal, dass Hans Krohn sah, dass sein Vater Angst hatte. Er schwitzte stark, obwohl es im Zimmer gar nicht so warm war.

Hans Krohn war gerade in die Oberschule gekommen, er musste also zehn sein, vielleicht elf.

Ihm war ganz schlecht im Bauch, als er die Angst des Vaters sah.

Und er bekam erst wieder richtig Luft, als seine Mutter seinen Vater in die Arme nahm.

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Die Würste an der Bundesstraße schmecken noch wie früher.

Das Pflaster in der Innenstadt ist immer noch grau und unbehaust.

Die Häuser weisen immer noch ab.

Kronach ist immer noch das kleine Biedermeier unter der trutzigen Festung Rosenberg.

Eine Stadt mit Türken zweiter und Nazis erster Klasse.

Eine Stadt, die den berühmten Arsch-Doktor geehrt hat  – und in der die Leut‘ einen zersetzenden Neid auf den Mediziner hatten, weil er die dicke Kohle in den Staaten und in den Emiraten gemacht hat. Jetzt ist er im Ausstand und geht allen am Arsch vorbei.

Die Stadt, vor der schon der smarte Herr Guttenberg weggelaufen ist, nachdem er in seiner Doktorarbeit sauber beschissen hatte.

Die urdeutsche Stadt, die nicht mal mehr einen Intercity-Halt hat.

Echt: Jetzt ist sie wirklich am Arsch der Welt.

Hans Krohn sucht sich ein grausliges Gänsehaut-Hotel.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.