ABSCHIED

berlin, 6. Februar 2015

Vollmond über Köpenick. Die Dahme ist spiegelglatt. Eben noch hat es geschneit, jetzt liegen Fluss und Stadt still in der Nacht. Auf der Brücke stehen zwei Mädchen vor den Kunstrosen am Geländer und weinen. Eine flüstert: „Die Franzi war so ein lustige.“ Jetzt ist die Freundin tot. Was nun?

FEISSIG UND FRÖHLICH WAR SIE. Sie hat ihr Leben gemocht. Mit dem Paul ist sie regelmäßig in die „Försterei“ getigert und hat die Jungs von „Union“ angefeuert. Das Mädchen auf der Dahme-Brücke erzählt, wie die Franzi den Alltag auch dann gemeistert hat, wenn es mal ein bisschen dicke kam.

„Sie hat im Supermarkt gearbeitet. Das hat sie gern gemacht, und die Kunden haben sie gemocht. Die wusste sogar, wo die Dinge stehen, die keiner braucht. Das war so eine, die ganz laut durch den Laden gebrüllt hat ,Sachma, wat kostn die Kondome?‘ – und dann haben alle gegrinst.

Und wenn sie mal nicht so gut drauf war, hat sie Musik gehört. Kim Gloss. K-Shah. Andreas Bourani. Sowas. Dann ging es ihr schon besser.“

Es war so eine richtige Feier-Clique, mit der sie sich traf. Keine von den Grölern und Säufern. Aber wenn es einen Anlass fürs Freuen gab, dann waren Franzi und die Freunde dabei. Mann, war das eine Sause, als im vergangenen Sommer die Jungs drüben in Brasilien Weltmeister wurden. Da hat man in Köpenick das Stadion zum Wohnzimmer umfunktioniert, und die ganze Welt war ein Wunder.

GEFEIERT WIRD AUCH am 1. Dezember 2014. Kurz nach Mitternacht steigen Nico, Anni, Franzi und Fahrer Paul in den Opel Vectra. Aufgekratzt sind sie. Paul – ein guter Fahrer, heißt es – hat nichts getrunken.

In drei Tagen wird Vollmond sein. Still liegen der Fluss und die Stadt in der Nacht.

Dann, so das Protokoll:

0.45 Uhr: Der Opel Vectra gerät auf der glatten Fahrbahn (Tempo 30) ins Schleudern, dreht sich um die eigene Achse, kracht rückwärts durchs Brückengeländer und schießt mit dem Heck voran aus fünf Meter Höhe in die Dahme.

0.51 Uhr: Bei der Feuerwehr geht der Notruf „Pkw im Wasser“ ein. Ein erster Trupp der Wache Köpenick rast zur Unfallstelle.

0.54 Uhr: Die Rettungstaucher beim Technischen Dienst in Charlottenburg-Nord starten mit Blaulicht in Siemensstadt. Es sind 29 Kilometer bis zum Einsatzort.

1.27 Uhr: Die Taucher orten Paul und Franziska im Wrack in vier Meter Tiefe. Der Opel liegt auf dem Dach. Sie befreien die beiden und ziehen sie an die Wasseroberfläche

2 Uhr: Unter „Reanimationsbedingungen“ werden die beiden Schwerstverletzten in die Krankenhäuser transportiert. Paul wird insgesamt 90 Minuten lang reanimiert. Nun steigen die Feuerwehrtaucher aus dem Wasser. Sie haben das Auto noch vertäut, damit es vom Feuerwehrkran geborgen werden kann.

2.30 Uhr: Der Opel Vectra schwebt über dem Wasser, wird auf die Brücke gehoben.

3 Uhr: Die Einsatzstelle wird aufgeräumt.

4.45 Uhr: Die Brücke wird wieder für den Autoverkehr freigegeben.

NICHTS IST WIE VORHER. Im Krankenhaus erliegen Franzi und Paul ihren Verletzungen. Menschen legen an der Unglücksstelle Blumen zu den anderen Blumen, sie zünden ewige Lichter an. Passanten bleiben stehen, schweigen und gehen nach einer Pause traurig weiter.

Politiker tun ihren Job – sie machen aus einem Unglück ein Politikum. „Der Bezirk soll sich beim Senat dafür einsetzen, dass die Leitplanken bis zum Kurvenbereich erhöht werden. Das bringt auch mehr Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger, die bei einem Autounfall ebenfalls verletzt oder getötet werden könnten“, sagt Gabriele Schmitz, die Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick.

Außerdem müsse man auch noch der Sache mit den Rettungstauchern auf den Grund gehen. Eine halbe Stunde haben die Experten der Feuerwache in Charlottenburg bis zur Einsatzstelle gebracht. „Die Feuerwehr in Berlins wasserreichstem Bezirk muss einfach besser für solche Einsätze, bei denen Menschen aus dem Wasser gerettet werden müssen, ausgerüstet werden“, erklärt eine erboste Gabriele Schmitz.

Und dann ist da noch die Sache mit der Brücke. Der Verkehrssicherheitsexperte Siegfried Brockmann tritt auf den Plan. „Gruslig“, sagt er, „gruslig“ sei diese Brücke.

Der Unglückswagen durchbrach ein relativ filigranes Geländer und stürzte in den etwa acht Meter darunter gelegenen Fluss. Der ist an dieser Stelle etwa drei Meter tief – und wesentlich breiter als die eigentliche Brücke: Die Rampe steht auf Stahlpfählen im Wasser

Den Fachmann graust es. Angesichts der direkt angrenzenden Kante zum Wasser „hätte man die Sicherung von der Brücke noch weiter herunterziehen müssen. Aus meiner Sicht ist da definitiv etwas nicht in Ordnung.“

DIE OHNMACHT DER FREUNDE BLEIBT. Sie pilgern zu den Rosen am Geländer und versuchen, die verlorene Normalität wieder zu finden. Fiebern mit „Union“, lenken sich – so gut es geht – ab. Zeit heilt Wunden, sagt man ihnen. Also lassen sie die Zeit mal machen.

Michael Krause wollte selbst was tun. Also hat der Hobbyfußballer seine „Ballzauber“-Kumpels überredet, dass man das Hallenturnier am 14. Februar in der Hämmerlingstraße für einen guten Zweck spielt. „Ich kannte Franziska aus dem Stadion“, sagt der 25-jährige Köpenicker. „Ich habe als Sicherheitsmann immer Franzis Karte abgeknipst, wenn sie ins Stadion kam. Nach und nach haben wir uns besser kennengelernt. Ihr Tod ist – ich weiß nicht, wie ich sagen soll.“

Gemeinsam mit Freunden wird er ein letztes Mal für die beiden Verstorbenen spielen. Ein Turnier, bei dem es nicht ums Gewinnen, sondern um den guten Zweck gehen wird. „Wir wollen Geld sammeln und gemeinsam Abschied nehmen. Es muss ja weiter gehen.“

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Dahme-Brücke, Köpenick, 4. Februar 2015.