DER GIPFEL
Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.
Krohn notiert, 1. Juni
Das Foto will mir nicht mehr aus dem Kopf.
Die Bergsteiger schieben sich stufenweise über den Grat. Hundert sind es, zweihundert vielleicht, noch mehr auch möglich. Die Einen wollen nach oben, die Anderen kommen vom Gipfel. Gespurt ist für eine Person, alle fünf Meter gibt es Buchten für Begegnungen, da können zwei Alpinisten einander passieren.
Blauer Himmel, ein paar wenige weiße Flusen, ein Wetter für den Gipfelsieg. Sie wollen alle rauf auf den höchsten Berg der Welt, sie müssen wieder runter gebracht werden.
Oft geht nichts voran. Gute Bergsteiger brauchen acht statt vier Stunden vom letzten Lager bis zum Höhepunkt. Die Menschen streiten um Plätze, ums Weitergehen, ums Überleben.
Geht mir nicht aus dem Kopf, das Bild. An dieser Stelle bin ich vor 20 Jahren umgekehrt, da war ich mit einem geduldigen Sherpa unterwegs. Bisschen Kopfweh hatte ich, das Wetter war stabil, der Morgen früh.
Ich mag nicht mehr, ich kehre um, habe ich gesagt. Der Sherpa hat mich nicht verstanden. Wochen später, zuhause in der Redaktion, haben sie es auch nicht verstanden. Sie hatten gezahlt, der Reporter war guter Dinge und auf dem Weg nach ganz oben gewesen. Da war der Mann umgekehrt.
Habe dann zwei Jahre keine Aufträge mehr bekommen.
Umkehrer. Verlierer. Angst-Schwuchtel.
In diesem Mai 2019 bleiben mehr als ein Dutzend Männer tot am Gipfelgrat liegen. Man räumt sie beiseite, vertäut sie neben der Route, die Leichen werden später geholt.
Sie sind unspektakulär gestorben. Konnten den nächsten Schritt nicht mehr setzen. Haben sich hingesetzt und sind nicht mehr hoch gekommen. Haben keinen Sauerstoff mehr gehabt, weil der Stau die Zeitplanung über den Haufen geworfen hatte. Haben nur noch ganz wenig geatmet, ganz flach, ihnen war alles egal. Sind neben die Spur gekommen. Umgesunken, in sich eingeknickt, der Eine oder Andere rüttelte an ihnen, schaute in ihr blaues Gesicht, schüttelte den Kopf und mühte sich weiter, hinauf oder hinunter. Ein Sherpa band die Leiche an einen Felsen. Weiter ging es.
In Kathmandu sitzt eine Bayerin, die aufschreibt, wer wann auf dem Gipfel war. Sie notiert auch die Namen der Toten. Billie Bierling – so heißt die Frau, die vor zehn Jahren selbst auf dem Gipfel war, an einem Tag voller blauer herrlicher Einsamkeit und Würde – sagt, dass Todesfälle zu erwarten waren, weil die Leute nicht viele Tage hatten, an denen sie auf den Gipfel konnten.
„Sie haben mindestens 20000 Dollar ausgegeben, und nun wollen sie natürlich was haben für ihr Geld“, sagt Billie Bierling. „Das Problem sind die, die sich mit dem Hubschrauber ins Basislager bringen lassen, die die Steigeisen nicht anziehen können und mit dem Seil nicht umgehen können. Die denken, sie haben bezahlt, nun werden sie auch auch den Berg gezogen. Und oben machen sie ihr Selfie – das war’s dann für die.“
Das sind Verirrte, sagt Billie. Einmal sterben für ein Selfie – auf zum Everest!