KLEIN GEKRIEGT
berlin, 11. juni 2015
Wieder so ein S-Bahn-Waggon, in dem keiner ein Buch liest. Zwei Handwerker picheln. Ein Penner streicht an den Fahrgästen vorbei, hält ihnen einen leeren Kaffeebecher unter die Nase und stinkt nach Scheiße. Die Menschen haben Abscheu in den Gesichtern, der Penner steigt um, es stinkt noch Stationen lang. Die meisten machen sich an ihren Handys zu schaffen.
Das Leben spielt sich auf einem Display ab.
Auch für die junge Frau, die in Bellevue zugestiegen ist. Dünn ist sie, flachbrüstig, blass. Die Haare hat sie sich kurz scheren und blondieren lassen, sie sieht aus wie ein wenig wehrhafter Junge.
Grüne Augen, sehr traurig. Sie sitzt da und schreibt etwas ins Telefon.
Die Frau tippt sehr schnell, ihr Finger wischt rasend übers Display.
Es klingelt. Ein Lied von Marius Müller-Westernhagen. Etwas mit Liebe. Sie hebt ab. Ihre Augen werden schmal. Nee, sagt sie, früher geht nicht. Sie sei auch nur ein Mensch. Das interessiere ihn doch ohnehin nicht wirklich, warum es so spät geworden ist.
“Einfach alles kacke auf Arbeit.”
Der Mensch am anderen Ende redet viel. Der Zug hält am Alex, fährt wieder los.
Der Mensch hat aufgehört zu reden. Die Frau lächelt ein wenig. “Is ja gut”, sagt sie. “Das kriegen wir hin.”
Sie wird etwas gefragt.
“Das weißte wohl gar nicht mehr. Nee, besoffen, wie Du warst. Du hast ja nicht mal den Film mitgekriegt. Egal.”
Sie hört zu.
Dann: “Na, ich geh’ erstmal duschen, dann muss ich den Kleinen holen, dann wollte ich noch ein Eis essen oder so. Man wird sehen. Okay, vielleicht sehen wir uns.”
Sie nimmt das Telefon vom Ohr. Sieht es an, schaut hinaus in den Berliner Osten, über dem die Sonne gleißt. Die junge Frau schüttelt den Kopf. Dann tippt sie wieder.
Man passiert die Jannowitzbrücke. Die junge Frau sieht zu ihrer Nachbarin. Die hört kurz auf, sich mit ihrem Handy zu beschäftigen. “Is was?”, fragt sie.
“Ach weißte, ich glaube, das war gar nicht so schlimm gestern Abend.”
“Aber er hat Dir eine geballert. Du wirst jetzt nicht wieder zu dem Arschloch kriechen.”
Die junge Frau zuckt mit den Achseln.
“Nee, wirklich. Das kannste nicht bringen.”
Die junge Frau sieht aus, als würde sie gleich weinen.
“Ich kann nicht anders”
Sie tippt.
Dann sind es noch drei Stationen zu ihm.