WARM UP
berlin. 5. februar 2015
Heute Abend geht’s los: Die Berlinale beginnt. 441 Filme aus 72 Ländern. 975 Vorstellungen. 325262 verkaufte Karten. 24 Kinos mit 60 Sälen. 1500 Mitarbeiter. 300 Wagen, hundert Fahrer. 150 Millionen Euro für Berlin. Ein Goldener Bär. Den gibt es am Schluss. Jetzt geht es erstmal los. Am Potsdamer Platz begann der Film-Marathon schon gestern.
Vor dem Startschuss kommt das Warm Up. Bevor also am Donnerstagabend der Rote Teppich für tout le monde ausgerollt wird, geben sich im Historischen Frühstückssaal im Sony Center am Potsdamer Platz schon mal die Gemütsmenschen des deutschen Films die Ehre. Vergeben wird für romantische Filme von Nachwuchsteams die „Blaue Blume“. Eine gelungene Party haben die Organisatoren ausgerichtet. Die Schauspieler und Regisseure, die Produzenten und Sponsoren sind ausgeschlafen und aufgekratzt, die Hähnchenteile und die Krapfen schmecken, Wein, Bier und Saft werden gern und ausgiebig genommen.
Im Innenhof des Sony Centers schrauben Handwerker noch an einer großen Bühne, auf der riesigen Leinwand läuft eine Endlos-Schleife mit Bildern von Roter-Teppich-Events aus aller Welt. Cannes, Los Angeles, Montreal, Berlin, Moskau…

Die Touristen blicken nach oben und lächeln unwillkürlich. Warte, warte nur ein Weilchen, dann steppt hier der Bär, und man braucht keine Bilder aus der Konserve mehr. In Berlin liegen in den nächsten zehn Tagen 1500 Quadratmeter Roter Teppich rum.
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Ein Mann schlurft zum Award. Knapp 60, müde Wangen, rot gesoffene Augen. Das Sakko ist nicht gelüftet, die Schuhe müssen mal geputzt werden, die Hose hängt im Schritt. Eine Hand lässt der Mann in der Tasche verschwinden, die andere hält ein fast leeres Weinglas. So geht er an der Bar längslang und wartet, dass ihn eins anspricht. Das passiert aber nicht, also verschwindet er zur Ehrung.
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Im Frühstücksraum klatschen sie. Die Herrschaften vom Catering können kurz ruhen. Dann kommt eine Dame von der Organisation – so eine angestrengt Magere mit hoch gesteckten blonden Haaren – und erklärt:
„Nun aber los. Drinnen wird abmoderiert. Die Leute haben Hunger.“
Das Personal belädt die Tabletts und trollt sich.

Die Dame wähnt sich allein. Seufzend sinkt sie auf einen Stuhl. Streift die Stilettos ab und lässt sie in einem Stoffbeutel verschwinden. Sie schlüpft in bequeme Winterboots und will gerade gehen. Schnell raus, schnell eine rauchen.
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Die Dame von der Organisation zieht den Steppmantel an. Sie hat nicht gemerkt, dass sich die aufgebrezelte Reporterin von der „Bild“ angepirscht hat. Nun gibt es kein Entrinnen.
„Sag‘ mal“, fragt die Reporterin. „Der Harry – mit wem is’n der Harry da?“
„Warum?“
„Ich kenn‘ die gar nicht. Das ist doch die Falsche.“
„Wie meinste das?“
„Naja, vielleicht weisst Du ja was: Hat der Harry ‚ne Neue?“
„Nee Du, da habe ich keine Ahnung.“
„Naja, ist ja auch egal. Aber wenn’De was hörst: Du hast ja meine Handynummer.“
„Ja. Alles klar.“ Die Dame von der Organisation ist dann mal weg. Eine rauchen. Unbedingt.
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Kein Zweifel, die Berlinale hat begonnen. Alle Hähnchen weg. Man steigt vom Kaffee auf lecker Pilsken um.
Der ältere Herr von vorhin treibt sich nun auch wieder vor der Bar herum. Die Wangen sind mittlerweile gerötet, der vierte Wein war durchaus hilfreich beim Wach-Werden. Überlegen und sehr männlich kontrolliert der Herr das Geschehen um sich herum. Langsam wird er warm. Jetzt kann der Zirkus beginnen.

