HOCH MIT DIR!

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Krohn notiert, 5. August

Die Ärztin hat gesagt, „Was auch immer passiert, Sabrina, was auch immer passiert in den nächsten Tagen – arbeiten Sie nicht dagegen an. Lassen Sie es geschehen. Es wird vorbei gehen.“

Heute ist Sabrina im Bett geblieben. Sie hat viel geweint. Das Mädchen von der Auer Dult am Vortag war nicht mehr zu ahnen.

„Magst Du nicht aufstehen und frühstücken? Vielleicht hilft das?“

Sie hat nicht einmal geantwortet.

Eine Stunde, zwei Stunden hat sie im abgedunkelten Zimmer gelegen. Keine Musik, keine Lektüre, kein Fernsehen.

Mittags brachte ich etwas zu essen und ein Buch über Franz Marc.

„Darf ich Dir etwas vorlesen.“

Sie hat mit den Schultern gezuckt. Hat aber auch nicht „Nein“ gesagt. Also habe ich Passagen gelesen, die ich markiert hatte.

„Ganz sicher, mein Lieb, wir werden uns nicht nur lieben – wir werden uns am allertiefsten vor unseren Bildern lieben. Es wird so schön werden.“

„Ich will wie ein Kind anfangen, von der Natur mit drei Farben und ein paar Linien meinen Eindruck geben, und dann hinzu tun an Formen und Farben, wo es der Ausdruck fordert, dass alles ein Hinzutun, niemals ein Wegnehmen ist.“

„Ich bin noch mehr als je in Blätter und Blumen verliebt. Ich seh‘ sie jetzt so ganz anders an, irgend ein Gefühl von Mitleid ist immer dabei, eine Art Mitwissertum. Wir verstehen uns schon; die Wahrheit ist ganz woanders.“

„Der wahre Geist braucht gar keinen Körper in seinem Leben – vielleicht ist ein Körper seine äußerliche Bedingung, aber er ist nur wenig abhängig von ihm, kann sich von ihm zeitweise und in seinen wichtigen wesentlichen Stunden ganz trennen.“

Sein letzter Brief aus dem Feld:

„Meine Nerven sind unberührt. Ja, dieses Jahr werde ich auch zurückkommen in mein unversehrtes Heim zu Dir und zu meiner Arbeit. Zwischen den grenzenlosen schaudervollen Bildern der Zerstörung, zwischen denen ich jetzt lebe, hat dieser Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist.“

Sabrina hatte sich mittlerweile aufgesetzt und sah mir beim Lesen zu.

Ich blätterte zu einer Passage, in der der amerikanische Maler Albert Bloch über Marc sagte: „Er malte reine Abstraktionen! Abstraktionen, wie nur Franz Marc sie malen konnte. Diese Gemälde stellten einen vollständigen und vollendeten Farblyrismus dar.“

Und dann:

Es soll ein strahlender Frühlingstag gewesen sein, als der Leutnant Franz Marc sein Pferd bestieg, um einen geschützten Weg für den Munitionstransport zu erkunden. Nach 20 Minuten kam sein Bursche blutüberströmt zurück und zeigte an, dass der Offizier Franz Marc soeben gestorben war. Ihm war ein Granatsplitter in die Schläfe gedrungen.

Im April 1917 wurde er auf Wunsch von Maria Marc exhumiert und nach Kochel am See überführt, wo seitdem sein Grab zu finden ist. Maria befürchtete, seine letzte Ruhestätte in Frankreich könnte planiert werden.

„Mann, hat der gekämpft.“

Sabrina stieg aus dem Bett und zog sich an. Ich wollte was sagen, doch sie wedelte mit der Rechten. „Alles okay. Ich arbeite nicht dagegen an, dass es mir schlecht geht. Aber ich arbeite auch nicht dafür.“

Hübsch sah sie aus, wie sie da in die Küche stapfte.

„Hans, musst Du nicht trainieren?“

„Egal, das fällt heute aus.“

„Nein, das fällt nicht aus. Lass‘ Dich nicht hängen. In zwölf Tagen biste am Start. Also, raus mit Dir.“

Ich lief und schwamm und machte mir Sorgen. Kam zurück, bog in den Hof ein – da roch es nach Nusskuchen. Es roch wie bei Astrid Lindgren oder so.

Sabrina stand in der Tür und hatte den Kuchenteller mit einem duftenden Nusszopf in der Hand. Tee stünde schon auf dem Tisch sagte sie und lachte.

Zum Kuchen gab es selbst gemachte Marmelade. Wir redeten und lachten und streichelten uns.

Ist doch noch ein guter Tag geworden. Schon wieder so einer.