SPRUNG INS LEBEN
lindow, 26. mai 2015
Noch scheint die Sonne über Brandenburg. Leichter Wind kräuselt den Teich. Der Hund döst, an der großen Tanne fliegt ein Meisenpaar im Akkord durch das Loch des Vogelhäuschens rein und raus. Rein mit Futter im Schnabel. Raus, weil die Brut tschilpend Nachschub verlangt. Toll! Das haben die lüsternen Meisen von ihrer Triebhaftigkeit.
Kids! Nichts als Arbeit! Die Kollegin Ente von nebenan kann ein Lied davon schnattern.

Leute! Wenn der Feind kommt, nix wie ab ins Schilf! FOTOS: BARBARA VOLKMER
Mitten im Teich ist auf einem langen Rohr ein geräumiges Vogelhaus einen Meter hoch über dem Wasser verschraubt. Drin plustert sich die Ente auf, die seit einem Monat auf gesprenkelten Eiern ihren Dienst tut. Ihr Lover hat sie allein gelassen, als er gemerkt hat, was die Beiden angerichtet haben. Da hatte die Alte zwei Handvoll Eier unter sich gelassen und wollte von ihm nichts mehr wissen.
Auch gut. Er hat sich aus dem Staub gemacht und mit anderen Liebhabern zusammen getan. Mausergruppe nennt sich solch ein Herrenausflug. In der Mauser verliert der Schönling sein farbenprächtiges Brutkleid und trägt bis zur erneuten Balz im Herbst ein unauffälliges Federkleid. Zum Sommerende wird er sich wieder sauber aufbrezeln und nachsehen, wo die Alte abgeblieben ist. Nach der Trennung finden sich die Paare im Herbst wieder – Enten leben in Einehen, bleiben also meist ein Leben lang zusammen.

Alle mir nach!
Zurück ins Vogelhaus, es ist der 26. Mai 2015. Bewegung kommt ins Stilleben. Die Ente ruckelt mit dem Bürzel, wackelt mit dem Schnabel, ist schrecklich nervös. Schließlich streckt sie die Beine, steht auf, tritt an die Luke und blickt hinunter auf den Teich
Hinter ihr wurlt und wimmelt es. Braune Tischtennisbälle kullern durchs Innere des Vogelhauses, formieren sich hinter der Mama und gucken, was abgeht.

Rührt Euch!
Mama sieht sich noch einmal um, schnattert was Wichtiges, was aus zwei Silben besteht und wie “gnägnä” klingt.
Dann lässt sie sich fallen. Klatscht einen Meter tiefer auf, stabilisiert sich, blickt nach oben.
“Gnägnägnä.”
Wie bitte?
“Gnägnägnä!”

Still gepaddelt!
Achso. Da lassen sie sich ins schier Bodenlose fallen. Die ersten Fünf sind furchtlose Springer, zwei folgen nach kurzem Zögern, zwei bleiben zitternd oben an der Luke und trauen sich nicht.
Trauen sich nicht.
Nein. Und nochmal nein!
Ein Gnägnägnä zum Letzten – und unten setzt sich die Erzeugerin in Bewegung.
Okay, dann muss es eben sein. Die letzten Zwei hüpfen. Fallen in die Tiefe, treffen aufs Wasser, strampeln verzweifelt, gucken sich um. Da hinten ist sie, die Mama, nichts wie hinterher, nichts wie an ihren Hintern und neben ihren Kopf. Und ja nicht mehr weg von ihr.

Mir nach, so ist es recht.
Jetzt sind sie also da. Mitten im Leben. Oder, wie das Biologen eher nüchtern beschreiben:
“Die geschlüpften Entenküken sind hoch entwickelte Nestflüchter. Ausgestattet mit einem dichten und weichen Daunenkleid, auch Dunenkleid genannt, können sie so bereits direkt nach dem Schlüpfen vor Fressfeinden ins Wasser flüchten. Nahrung suchen sich die Entenküken ebenfalls von Anfang an selbst. Sie werden von der Mutter also lediglich eine gewisse Zeit beschützt und nachts gewärmt.

Mal nachzählen: Es sind immer noch…
Jedoch hat die Entenmutter keinen genauen Überblick über die Anzahl ihres Nachwuchses; solange ihr drei bis vier Küken folgen, ist sie zufrieden, jedoch würde sie fehlende Küken nicht unbedingt vermissen. Bereits nach 14 Tagen beginnen neue Federn zu wachsen und schon in der fünften Lebenswoche ist das Dunenkleid fast vollständig durch das Jugendgefieder ersetzt.
Mit etwa acht Wochen, und nach wenigen Tagen unbeholfener Flugversuche, sind die Jungen voll flugfähig und die Beziehung zwischen der Ente und den Jungvögeln lockert sich.”
Noch ein paar Wochen also werden sie ein wenig von der Mutter umsorgt. Sie werden sich an ihrem Rücken reiben und sich so mit ihrem Bürzelfett gegen die Kälte und die Feuchtigkeit schützen. Sie werden lernen, dass die Welt voller Feinde ist und wie wichtig schnelles Fliehen fürs Weiter-Leben ist.
Und irgendwann sind sie groß und bunt – dann haben sie es gut getroffen und sind faule treue Mannsbilkder. Oder sie bleiben braun – dann werden sie auch mal Mama und müssen kleinen Tennisbällen das Hüpfen und das Fliehen beibringen.

Alle Neune!
Wie auch immer:
Jetzt sind sie klitzeklein und süß und in Gefahr. Da kann man nur Glückauf wünschen.