NARRENSPIEL

berlin, 19. mai 2015

Gestern hat sich Thomas Gottschalk zum Affen machen lassen. Nein, er hat sich zum Affen gemacht. Weil er weiß, dass es zum doofen Spiel gehört, dass einer wie er sich am Nasenring über die Bühne ziehen lassen muss, wenn er sich gut verkaufen will. Also, Gottschalk hat eine bemerkenswerte Biographie geschrieben – und er will, dass die möglichst lange oben in den Bestsellerlisten bleibt. So hat er gestern mit einer Helium-Stimme Mozart gekräht, ließ sich von einem blonden Model die Lippen rot anmalen, hat das Geplapper der drallen Barbara Schöneberger, das Gelächel des sich verbrauchenden Guido Maria Kretschmer und das hirnfreie Reden des Blödel-Spezialisten Mike Krüger freundlich an sich abperlen lassen.

So ist das nun mal, wenn man sich zum Affen macht.

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Ist ihm doch egal, was die Leut’ über ihn schreiben. Sagte Thomas Gottschalk – und fügte hinzu: “Hauptsache, sie schreiben meinen Namen richtig.” FOTO: BARBARA VOLKMER

Und manch einer wurde ganz sentimental. Weil er an eine kluge Frau denken musste, deren Job es ebenfalls war, sich blöder zu stellen, als sie war.

Viel blöder. Sie hat die Närrin gegeben – bis ins frühe Grab:

HELGA FEDDERSEN.

Eine, die neben Gottschalk gespielt hat, hat auch die Feddersen erlebt. Das war Christine Zierl. Sie nannte sich mal Dolly Dollar…

Es war 1983, Christine hatte einen kleinen Sohn, Alessio. Als naive Blonde hatte sich die süße 22-Jährige unter dem Künstlernamen „Dolly Dollar“ in die Herzen der Kinofreunde gespielt, doch im Augenblick hatte sie keinen Job.

Da klingelte das Telefon.

Am anderen Ende krähte es: „Hier is Helga. Helga Feddersen.“

Ja, es war die Ulknudel der Nation. Diese dünne wundervolle Witzfigur, die mit Didi Hallervorden „Ja, die Wanne ist voll“ geträllert hatte und für jeden Klamauk im Rampenlicht zu haben war.

Ob sie, die Kollegin, nicht Lust an der Seite von Helga Theater zu spielen?

Klar hat sie Lust gehabt, erinnert sich Christine Zierl heute. Sie packte das Kind ein und machte sich auf nach Hamburg. Am 23. Oktober 1983 war an Helgas Theater am Holstenwall Premiere von „Die Perle Anna“. Man gab das Stück 400Mal, die Bude war immer rappelvoll.

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“Ja, die Wanne ist voll!” So sang sie, da lachten alle – und keiner merkte, wie klug die Feddersen war.

„Wir waren eine Familie – und Alessio und mich nahm die Helga ganz besonders unter die Fittiche. Sie war ein Schatz und Unterhaltung pur. Schrill, laut, komisch und genau so leise und ganz traurig, immer voller Empathie für andere. Sie gönnte sich nichts und war mit anderen großzügig. Sie verlieh Geld, hatte für alle ein offenes Ohr!“

Zierl weiter: „Wenn man so eng miteinander lebt, kennt man nach einer Weile den Anderen aus dem Effeff. Und da Helga aus ihrem Herzen nie eine Mördergrube machte, wusste ich schon bald alles Wichtige, was ihr im Leben passiert war.“

Helga Feddersen, diese echte Hamburger Deern. Am 14. März 1930 an der Elbe geboren. Der Vater hatte ‚nen Laden für Seemannsbedarf und war wichtigste Bezugsperson. Das Mädchen Helga drängte es schon bald auf die Bühne. Eine Schönheit, die in „Ostern“ von Strindberg mit 19 die erste große Rolle meisterte. Eine junge Frau, der mit 25 ein Tumor hinterm Ohr entfernt werden musste. Dabei wurde ein Gesichtsmuskel durchtrennt, danach war Helgas Gesicht halbseitig gelähmt – arbeiten konnte sie erst einmal nur als Souffleuse.

Doch sie kam zurück, als die Frau, die sich über alles und jeden und vor allem sich selber lustig machte: „Mein Mund saß am Ohr! Jetzt sitzt er wieder richtig. Zum richtigen Sitzen hat er fünf Jahre gebraucht.“

Dann schien sie auf der Sonnenseite des Lebens zu sein. Zumal sie sich auch noch den richtigen Kerl angelte. Götz Kozuszek, Dramaturg beim NDR, schickte ihr in der Kantine doppelstöckige Schnäpse an den Tisch und wartete ab. Aber sie stand kerzengerade wieder auf. „Da hat er gedacht“, erzählte Helga gern, „mit der fang ich was an. Er ließ sich scheiden, und ich war dran. Ich war 32 und Götz 52. Ich voll erblüht, er kernig. In der Erotik hatte ich noch nie so den richtigen Spaß gehabt, aber bei uns beiden klappte das gleich, und die richtig geistige Ebene war auch da.“ Vor Götz mochte ich mich nicht, ich lebe ja erst seit unserer Ehe!“das sagte Helga oft, sie beglückte ihn mit alten Möbeln vom Sperrmüll.“ erinnert sich Christine Zierl.

„Helga war eine ‚Rampensau‘“, erinnert sich Christine Zierl. „Sie hat immer gesagt: ,Ich brauche keinen Alkohol und keinen BH, aber ich brauche MEIN Publikum.‘ Oder: ,Ich bin ansteckend! Das ist die schönste Krankheit die man sich bei mir holen kann, das Lachen!‘ Und wirklich – wenn sie so daher kam mit ihrer ,Handtasche‘, einer Plastiktüte, wenn sie nach der Vorstellung ihre Miniportion Buletten oder Heringssalat verdrückte, dann war sie das Zentrum der guten Laune, aber sie kämpfte immer mit Magersucht, achtete mehr bei meinem Sohn aufs Essen als bei sich selbst.“

Auch auf der Bühne hatte Christine mit der großen Kollegin ihre ganz eigene Gaudi. Normalerweise ging man kurz vor dem Auftritt nochmal aufs Örtchen. ,Ich mussma schnell zu Tante Meier‘ hieß das bei Helga. Eines Abends krähte eine eilige Helga „ich muss ma…“, wurde aber vom Inspizienten beschieden: „Nix musste. Du musst auf die Bühne“.

Da stand sie nun in ihrer Not, auf der anderen Seite Christine. Also deklamierte Helga ein „Ich mussma zu Tante Meier“ – und weg war sie. „Und ich musste improvisieren, bis sie erleichtert zurück kam. Was haben wir gelacht.“

Während der Spielzeit von „Perle Anna“ starb Götz. „Das hat Helga umgehauen. Da war das Theater geradezu Therapie für sie“, erzählt Christine Zierl.

Das war 1985. Zwei Jahre später ging Helga zum Arzt. Die Diagnose war niederschmetternd: Tumor am Auge. „Sie durfte nicht mehr spielen. Sie rief mich an und weinte“, erzählt Christine Zierl, „sie löste ihren Hausstand in Hamburg auf zog sich nach Föhr zurück, an ihrer Seite ihr Vertrauter Olli Mayer. 1989 mußte das Theater Insolvenz anmelden. Olli Mayer schirmte sie schon ab. Ich wollte sie besuchen und wurde abgewiesen.“

Olli Mayer heiratete Helga noch auf dem Sterbebett. Der 24. 11. 1990 waren der Hochzeits- und Sterbetag der großen Helga Feddersen.

Das Nachspiel dieses Lebens hat grelle Misstöne. Olli Maier wurde reich. Zuvor hatte er die Schauspielerin, die am liebsten ihre Heimatstadt Hamburg nie verlassen hätte, in Stuttgart beerdigen lassen. Verstanden hat das niemand.