BERGAB
scheisszeitenwende 103
Er hatte kaum Geld. Walser arbeitete wie ein Galeerensklave, Bild um Bild entstand. Schöne Motive, hinreißende Farb-Orgien, verstörende Alpträume auf Leinwand. Große Kunst, kein Zweifel. Aber er war ein schlechter Verkäufer. Vieles verschenkte er, zu selten verdiente er etwas. Jeder Franc ging für Drogen und Alkohol, für Zigaretten, Leinwand und Farben drauf. Essen war nicht so wichtig. Schlaf? Wer schläft, lebt nicht.
Wenn er nicht an der Leinwand stand, saß er im Café und rauchte und schrieb hellsichtig-verzweifelte Aufsätze in ein blassblaues Cahier. Oder er lief sich auf den Straßen von Paris die Hacken schief.
„Ich bleibe überall stehen, staunend wie ein Kind. Ich möchte auch so etwas malen, aber ich tue es nicht, weil es nie, nie so kommen würde, wie ich es sehe.“
Dann machte er sich wieder Mut.
„Irgendwie kommt es mir doch nicht so bedeutungslos vor. Ich glaube daran, dass es mir einst gelingt.
Oh, es ist schön hier, alles. Und so wunderschöne junge Leute. Ich kann nicht anders: Aber für mich ist ein schöner Kopf eines jungen Mannes das Höchste. So etwas möchte ich malen, nur für mich.“
scheisszeitenwende 102
Er verlor den Halt. Er wusste, was er sich antat.
„J’aime les drogues, elles tuent.“
Die Drogen werden mein Tod sein.
Walser war einer von den Begabtesten in Montparnasse und er wollte unbedingt zu den Erfolgreichen gehören.
„Letzthin wartete ich an der Rue Boessy vier Stunden auf Picasso. Da kam er, und ich wagte nicht, ihn anzusprechen. Heute habe ich das Schauspiel wiederholt. Stunden gewartet – und ihn angesprochen, als er nach Hause kam, um ein Uhr. Und da war er außerordentlich lieb zu mir. Er hat gleich ein Rendezvous auf morgen, um zehn Uhr, angesagt. Nicht so bedeutungslos: Picasso ist ja immerhin der berühmteste Maler von heute.“
Am nächsten Tag klingelte er beim Meister. Was für ein Glück! Was für ein Günstling des Schicksals er doch war!
„Jetzt sitze ich im Café. Komme von Picasso und bin halb verrückt vor Freude. Eine Stunde war ich dort. Er zeigte mir alles und sagte wiederholt zu meinen 20 Cartons, die ich mitbrachte, dass sie ihm sehr große Freude machen. Magnifique! Jetzt gehe ich heim und fahre fleißig fort zu malen.“
