ZIEL: WELTSTAR

wien, 29. april 2015

Im Prater zu Wien haben sie eine neue Attraktion: Bei “Madame Tussauds”, Filiale Österreich, lockt Conchita Wurst, singendes Mannweib und Siegerin des Eurovision Song Awards 2014. In diesem Jahr ist die bärtige Sirene der Lockvogel des Song Contests, der vom 17. bis zum 23. Mai Austrias Hauptstadt in den Ausnahmezustand bringt. Wer ist er eigentlich, dieses Fräulein Wurst. Lassen wir ihn/sie doch selbst erzählen. Geredet hat sie/er im letzten Jahr zur Genüge.

Die Mädels, sofern sie es verstehen, finden in mir diesen schwulen besten Freund, von dem die Hetero-Frauen angeblich alle träumen. Aber es ist so belanglos, schwul zu sein. Ebenso wie es belanglos ist, hetero zu sein. Es geht um den Charakter. Man kann dreimal schwul sein und trotzdem einen Scheißcharakter haben. Ich finde es immer sehr seltsam, wenn man von der Sexualität darauf schließt, dass es jetzt sehr lustig mit demjenigen ist.

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“Ich will…

Ich teile meine Kindheit in zwei Phasen, jene vor der Pubertät und jene danach. Vor der Pubertät war alles happy peppy. Ich habe mir die Röcke meiner Cousinen angezogen, bin in den Kindergarten mit Lackballerinas gegangen. Das geschah abseits von jeder Wertung.

Meine Mama und meine Oma hatten kein Problem damit, und auch mein Papa fand’s großartig. Mein Vater ist selbst ein großer Schauspieler, er hat sich immer köstlich amüsiert, was ich so alles in den Medien gesagt habe.

Meine Mama hat es akzeptiert, vielleicht aber oft auch nur, weil sie den morgendlichen Kampf gegen mich verloren hat. Eine Legende besagt, dass meine Oma mir meinen ersten Rock gekauft hat. Aber der Grund war nicht, weil sie das gut fand, sondern weil sie endlich aus dem Geschäft wollte. Auch meine Mama hat versucht – oft unter dem Einfluss von anderen –, mir Frauenkleider auszureden. Aber sie hat schnell gemerkt, dass das nichts bringt. Es war ihr schließlich egal. Das rechne ich meinen Eltern hoch an. Die hatten es sicher oft nicht leicht.

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…nur…

Rund um 2010 habe ich mich entschieden, eine Frau mit Bart sein zu wollen. Ich habe damals hier in Wien begonnen, eine Burlesque-Revue, Salon Kitty hieß die, zu moderieren. Ich fand es lustig, mit Bart aufzutreten, ganz einfach weil mir der Bart gefiel. Kurz vor der Großen Chance kamen aber einige ernst gemeinte Ratschläge, dass ich mir den Bart abrasieren solle.

Wenn ich es prozentuell aufteile, dann bin ich derzeit zu 80 Prozent Conchita und zu 20 Tom, wobei sich Tom auf Hotelzimmer und Indoor-Termine reduziert. 

In der Zeit vor Conchita ist Tom wie ein Trottel ins Fitnessstudio gerannt, ich habe Proteinshakes getrunken, weil ich um alles in der Welt zunehmen und trainiert sein wollte. Aber mein Körper hat gesagt: Nein. Mittlerweile mag ich es, wie ich bin, auch so.

Ich verstehe viele Frauen, die mit ihrem Körper unglücklich sind. Es heißt ja immer, Hauptsache, man ist gesund. Aber das ist Heuchelei. In der Mode werden die gesunden Mädchen ja nicht gebucht.

Tom ist derjenige, der die Wohnung putzt und die Rechnungen bezahlt, während Conchita ihr Lotterleben führt. Die beiden verschmelzen immer mehr, aber es gibt viele Kleinigkeiten, wo meine Freunde sagen, dass Tom und Conchita sehr verschieden sind.

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…meinen Look…

Ich war als Tom bei Starmania, als Conchita bei der Großen Chance. Und in Deutschland in diversen Reality-TV-Shows unter anderem mit RTL in Afrika. Aber bei den Reality-Shows ging es um nichts.

Ja – und dann habe ich letztes Jahr gewonnen. Conchita Wurst die Nummer Eins. Es war ein Traum.

Ich glaube, es könnte mir Schlimmeres passieren, als ständig darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass ich den größten Musikwettbewerb der Welt gewonnen habe. Das gehört zu mir. Und ich arbeite daran, dass es nicht das einzige Highlight bleibt.

Alles, was ich tue, hat einen sehr, sehr egoistischen Ursprung. Ich stelle mich nicht vor das EU-Parlament, um jemandem zu gefallen, sondern weil ich das will.

Auch ein Treffen mit Putin würde ich nicht ablehnen. Allerdings möchte ich eine Woche mit Putin verbringen. Einfach, um ihn zu verstehen. Was bedeutet es, Wladimir Putin zu sein? Welcher Druck lastet auf ihm? Damit entschuldige ich nicht seine diskriminierenden Gesetze. Aber durch dieses Verständnis würde ich ihm gerne sagen: “Du weißt schon, dass es anders besser wäre.” Denn am Ende des Tages möchte Putin nur respektiert werden.

Das kenne ich. Ich hatte viel Gegenwind, ich hatte viele Menschen, die mich total abgelehnt haben. Jetzt plötzlich ist man in der Situation, total akzeptiert zu sein. Für mich ist es ein großer Schritt, dass eine bärtige Frau die wichtigste Persönlichkeit in einem Land sein kann. Es ist so wunderschön zusehen, dass wir als Gesellschaft das Recht haben, zu wachsen. Und ich hoffe, dass es so weitergeht.

Vielleicht habe ich mit vierzig keine Lust mehr, in High Heels herumzuwackeln. Derzeit würde ich nichts ändern wollen. Nur eines vielleicht: meinen Look weiter zu perfektionieren.

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,,,weiter perfektionieren.”

Ich habe prinzipiell selten einen Plan. Und schon gar keinen Plan B. Es gibt das grobe Konzept, das Spielräume lässt ohne Ende: “Weltstar” – das ist ein frei interpretierbarer Begriff. Ich möchte Musik machen. Ob ich einen Grammy bekomme, weiß ich nicht – ich habe aber seit zwölf Jahren den Traum. Und wenn ich das mache, was mir gefällt, ist es schon mal ein richtiger Schritt, dass es eventuell erfolgreich sein könnte.

Ich will mich am Ende zurücklehnen, mit hoffentlich 120 Jahren, und sagen können, dass ich etwas geleistet habe. Dass ich etwas beigetragen habe.
Morgen: Wiener Kongress, anno 2015