UND: SCHNITT!

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Draußen im Park sitzen zwei Kranke auf einer Bank. Sie brauchen noch die Anoraks, es ist kühl, trotz der Blüten an Bäumen und in Beeten. So haben die Frauen die Reißverschlüsse hoch gezogen und rauchen freudlos Kette. Sie tragen bunte Beanies – was sie als Chemo-Routiniers uniformiert -, Trainingshosen, Laufschuhe. Kein Outfit für die Stadt da draußen, das ist die Kluft für den kleinen Park, für die letzte Flucht aus der Klinik.

Viel zu reden haben sie nicht. Hans Krohn hört nicht, worüber sich die Frauen unterhalten – aber er versteht, dass sie nichts zu sagen haben. Dann und wann ein belangloser Satz, und die Zeit vergeht.

Nach drei Fluppen packen sie die Zigarettenschachteln mit Feuerzeugen in die Jackentaschen und gehen eine Runde. Die Schritte der Kranken sind kurz und kraftlos, krummschultrig und müde schlurfen die Frauen über den Schotter.

Ein Ziel ist ihnen abhanden gekommen. Sie verlassen den Park, die Klinik hat sie wieder.

Hans Krohn, der noch immer in dem verwaisten Zimmer auf Sabrina wartet, stellt sich vor das Blumenfoto. Tulpen, bunt, Garten, grün, Himmel, blau. Satte Farben, eigentlich ein schönes Bild.

Sabrina ist jetzt schon drei Stunden weg. Jetzt, so hat man ihm gesagt, könne er sie zurück erwarten.

Er versucht nicht panisch zu werden. Sie wird schon kommen. Es ist eine alltägliche Operation. Kein Hexenwerk. Über 50000 Eingriffe pro Jahr im Land. Kein Anlass zu übertriebener Sorge.

Aber Krohn fällt das vernünftige Denken schwer. Er sieht auf die Tulpen und denkt an einen Arzt mit besorgtem Gesicht, der erklärt, es sei leider etwas schief gegangen. Er erinnert sich an die Angst in Sabrinas Augen, als sie aus dem Zimmer geschoben wurde. Die Tulpen empfindet er als Hohn.

An einer anderen Wand hängt der stilisierte Jesus am Kreuz. Krohn hat Zorn. Was können sie sich erdreisten und den Tod in ein Krankenzimmer nageln?

Die Tür öffnet sich. Das Bett mit Sabrina rollt herein. Die Krankenschwester hat ein Lachen in den Augen.

„Ich bin’s“, krächzt Sabrina.

„Ja“, sagt Krohn.

Die Schwester rangiert das Bett geschickt an seine Position. Sie justiert die verkabelte Sabrina, zupft unter der Bettdecke ein Fläschchen am Schlauch hervor und lässt es auf den Boden unterm Bett gleiten. Im Schlauch hat sich roter Glibber gesammelt, der in klitzekleinen Schüben ins Fläschchen wandert.

„Das ist das bisschen Blut aus der OP-Wunde“, erklärt die Schwester, die Krohns erschrockenen Blick bemerkt hat. „Nichts Schlimmes, das ist ganz normal.“

Ob alles in Ordnung sei, will er wissen. Wie die Operation verlaufen sei? Ob man schon mit Sabrina reden könne, oder ob die noch lull und lall wegen der Narkose sei?

„Nein“, antwortet die Schwester, wird von Sabrina unterbrochen. Man brauche nicht von ihr zu reden, als ob sie nicht im Raum sei. Natürlich sei sie auf der Höhe, natürlich sei alles wunderbar glatt gegangen. „Du kannst mit mir reden – aber vor allem habe ich Durst.“

Hans Krohn setzt sich. Ihm tun die Waden weh, so müde fühlt er sich. Er sieht Sabrina an. Und noch einmal und noch einmal. Er sieht sie an, er muss sie sich schließlich merken.

Sie ist ganz heiter. Vielleicht sind es ja die Drogen.

Alles gut. Alles gut. Alles gut.

Oder?