SERVUS, MARTL

„2017”*, Folge 55, 11. November. Bald schneit es bis ins Tal.

 

Zum Lesen hat sich Krohn vom Stammtisch weg gesetzt. Er notiert, merkt nicht, wie die Zeit vergeht. Das Bier wird schal. Krohn bestellt ein neues.

Vor dem Wirtshaus geht der Tag zur Neige. Es wird grau draußen, die Schwärze kommt. Der Nachbar-Bauer rangiert seinen Traktor in die Scheune. Neue Gäste kommen, auf der Ofenbank sitzen sie Arsch an Arsch.

Die Touristen, die am Vortag auch schon da waren, haben Braten mit Knödeln und wissen sich nichts zu sagen. Ihnen schmeckt es nicht, aber es sättigt – und man muss nicht reden, wenn man isst. Gut so.

„Sog amol, Hanse“, fragt einer von drüben, „schreibscht an Roman?“

Krohn lächelt den Bauern an und schüttelt leicht den Kopf.

„Nachad herst jetz auf und hockscht Di her. Varzähl amol wos vo den Berlin. Is schee do?“

Die Mannsbilder am Stammtisch haben endlich ein Thema. Da brauchen sie den Krohn nicht, wenn sie erörtern wollen, ob Berlin eine schöne oder eine Scheiß-Stadt ist.

Es ist natürlich kein Ort, an dem man leben will.

Krohn geht früh in sein Zimmer. Er hat einiges vor am nächsten Tag.

 

Ohne Frühstück marschiert er hoch zum Teufelstättkopf. Gut hat Hans Krohn es getroffen mit dem Wetter. Eine laue Spätherbst-Sonne prickelt auf der Haut.

Hans Krohn setzt sich vor den moosigen zugemauerten Höhleneingang. Er denkt an Martl, ihm ist, als ob sie miteinander reden würden.

Zefix, Martl, sagt der Hanse, den Schmarrn hättest Du auch sein lassen können, hättest halt was gesagt, dann wären wir erst einmal in die Welt und hätten dort nach den Frauen gesehen, Du bist ja gar kein Typ für die „Weiber“ gewesen, Du hast die „Frauen“ geliebt, Du warst ein edlerer Ritter als Athos, Porthos und Aramis, Martl, Du Arsch, warum hast Du nie was gesagt, immer den harten Hund spielen, das hast Du gekonnt, echt, das war Kacke.

Fuck, Martl, sagt der Hanse, lässt mich allein mit dem ganzen Kram, aus war’s mit unserem Spaß, aus war’s mit dem Harakiri-Klettern und dem Lachen übers Risiko, aus war’s mit der Freude auf den nächsten unsinnigen Tag, und aus war es mit den Steilpässen.

Mei Martl, sagt der Hanse, weißt noch, wie wir dem ganzen Dorf die Arschkarte gezeigt haben, wenn sie uns zu sehr auf die Eier gegangen sind, haben wir am hellichten Tag Bier bis zum Abwinken gekauft und auf dem Platz vorm Bäcker auf die Bank gehockt, dort haben wir das Penner-Spiel gespielt und alle haben sich mordsmäßig aufgeregt, uns ist es gut gegangen dabei, weil wir wussten, dass wir besser waren.

Weißt Martl, sagt der Hanse, es war nicht in Ordnung, dass ich den ganzen Dreck danach allein für mich gehabt habe, das Verheiratet-Sein, das Nicht-mehr-saufen-Können, die neumodische Zeit mit den Handys und den Computern und den Pornos zum Schweine-Füttern, ich hätte gern mit Dir drüber geredet und die Anderen von Zeit zu Zeit ausgelacht, aber Du hast Dich ja verzupft, feiger Hund, Du.

Jetzt ist es wurscht. Jetzt machen wir einen Frieden. Mach’s gut Martl. Das sagt inwendig der Hanse und wird ganz ruhig.

Gut so. Nun kann er runter zum Friedhof.

 

Die Eltern liegen schön. Die alten Weiber im Dorf schwärmen von dieser Grabreihe. Da kann man wunderbar übers Tal und das kleine schmiegsame Dorf hinüber zur sanften ersten Kette der Voralpen sehen. Das ist ein friedliches Panorama. Im Winter hört man das Kreischen skifahrender und rodelnder Kinder und man hört die Menschen, die auf der Terrasse der Talstation Jause machen, im Rest des Jahres läuten die Kühe mit ihren Glocken.

Schön hier, arg schön.

Hans Krohn blickt auf das Grab – jemand hat den Blumenschmuck unlängst erneuert – und hadert mit seiner Wut.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.